Der Modigliani Skandal
Ihnen helfen?«
Angesichts ihrer vornehmen Erscheinung war er sich über die einzuschlagende Taktik im klaren. »Ich wüßte gern, ob es wohl erlaubt ist, dieses schöne Haus in Ruhe von außen zu betrachten.«
»Aber natürlich.« Die Frau lächelte. »Wie angenehm, jemanden zu treffen, der sich dafür interessiert. Ich bin die Contessa di Lanza.« Sie reichte ihm die Hand, die er beflissen schüttelte, während er gleichzeitig die Erfolgschancen seines Besuchs taxierte: zirka 90 Prozent.
»Dunsford Lipsey, Contessa.«
Sie führte ihn zur Seite des Hauses. »Erbaut wurde es im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts, als die Familie die Ländereien rundum erhielt als Lohn für irgendwelche Kriegsdienste. Das war jene Zeit, in der sich die Architektur der Renaissance schließlich auch auf dem Land verbreitete.«
»Ah. Dann ist es etwa um die gleiche Zeit erbaut worden wie die Kirche in Poglio.«
Sie nickte. »Interessieren Sie sich für Architektur, Mr. Lipsey?«
»Ich interessiere mich für Schönheit, Contessa.«
Er sah, daß sie ein Lächeln unterdrückte. Vermutlich fand sie, daß dieser so steif und formell wirkende Engländer einen gewissen exzentrischen Charme besaß - und genau diesen Eindruck wollte er auf sie machen.
Sie erzählte ihm von dem Haus, als wiederhole sie eine altvertraute Geschichte; deutete hier auf eine Stelle, wo die Maurer eine andere Sorte Steine hatten verwenden müssen, zeigte da und dort, wo im 18. Jahrhundert sowie im 19. - im kleineren Westflügel - neue Fenster hinzugefügt worden waren.
»Natürlich gehört uns der Bezirk heute nicht mehr, und das Land, das wir noch besitzen, ist ziemlich karg. Wie Sie selbst sehen können, ist hier allzuviel reparaturbedürftig.« Sie sah ihn an und lächelte selbstironisch. »Contessas gibt's in Italien wie Sand am Meer, Mr. Lipsey.«
»Aber nicht alle sind aus so alter Familie wie Sie.«
»Das stimmt allerdings. Die neueren Aristokraten sind Geschäftsleute und Industrielle. Ihre Familien haben keine Zeit gehabt, sich mit ererbtem Geld an ein angenehmes Leben zu gewöhnen.«
Sie hatten ihren Rundgang um das Haus beendet und standen jetzt am Fuß eines der Türme im Schatten. Lipsey sagte: »Man kann auch mit verdientem Geld ein angenehmes Leben führen, Contessa. Ich beispielsweise kann, fürchte ich, von mir kaum behaupten, daß ich für meinen Lebensunterhalt sehr hart arbeite.«
»Darf ich Sie fragen, was Sie tun?«
»Ich habe ein Antiquitätengeschäft in London. Es befindet sich in der Cromwell Road - Sie müssen es bei Ihrem nächsten England-Aufenthalt besuchen. Ich selbst bin nur selten dort.«
»Hätten Sie nicht Lust, sich das Haus auch von innen anzusehen?«
»Nun, falls es nicht zuviel Mühe macht ...«
»Nicht im geringsten.« Die Contessa führte ihn durch die Eingangstür. Lipsey fühlte ein Kribbeln im Nacken, wie stets gegen Ende eines Falles. Er hatte Präzisionsarbeit geleistet: hatte bei der Contessa den Eindruck erweckt, er sei womöglich daran interessiert, etwas von ihr zu kaufen. Sie ihrerseits brauchte zweifellos sehr dringend bares Geld.
Während sie ihn durch die Räume führte, glitten seine scharfen Augen blitzschnell über die Wände. Gemälde gab es in großer Zahl, hauptsächlich Ölgemälde einstiger Grafen sowie Landschaftsaquarelle. Die Möbel waren alt, aber nicht antik. Manche Zimmer rochen buchstäblich unbenutzt: ein sonderbares Aroma - eine Mischung aus Mottenkugeln und Verfall.
Sie führte ihn die Treppe hinauf, und er begriff, daß sich dort oben auf dem Podest das Kern- und Prunkstück des Hauses befand. Das Zentrum bildete die Marmorstatue eines Zentauren und eines Mädchens in sinnlicher Umarmung. Die Teppiche auf dem auf Hochglanz polierten Fußboden waren weder schäbig noch abgewetzt, und an den Wänden rundum hingen Gemälde.
»Dies ist unsere bescheidene Kunstsammlung«, sagte die Contessa. »Wir hätten sie schon vor langer Zeit verkaufen sollen, doch mochte sich mein inzwischen verstorbener Mann nicht von ihr trennen. Und ich meinerseits hab's dann immer wieder hinausgeschoben.«
Dies war, mehr oder minder unverhohlen, das Verkaufsangebot der alten Dame; direkter würde sie sich dazu kaum äußern. Und so ließ Lipsey die Maske seines rein beiläufigen Interesses fallen und begann, die Bilder sehr sorgfältig zu betrachten.
Er sah sich jedes einzelne aus einiger Entfernung an, wobei er die Augen verengte und nach Anzeichen des Modigliani-Stils Ausschau hielt: die länglichen
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