Der Modigliani Skandal
englischsprechenden Hotelbediensteten erkundigte er sich nach dem nächstgelegenen Autoverleih.
Die Italiener waren fieberhaft dabei, Rimini in eine Kopie von Southend zu verwandeln. Es gab Fish-and-Chips-Restaurants, imitierte Pubs, Hamburger-Bars und Souvenirgeschäfte, wohin man auch blickte. Außer bereits stehenden Häusern schien es nur Bauplätze zu geben. In den Straßen drängten sich bereits Urlauber; die älteren Herren in Bermudahemden, ihre Frauen in geblümten Kleidern, während die jüngeren unverheirateten Pärchen weitgeschnittene Jeans trugen und lange Embassy-Zigaretten qualmten, vermutlich zollfrei eingekauft.
Im Büro des Autoverleihs gönnte er sich dann seine Zigarre, während ein paar Angestellte lange Formulare ausfüllten und seinen Paß sowie seinen internationalen Führerschein prüften. Sie bedauerten, ihm so kurzfristig nur einen großen Fiat in Hellgrün metallic zur Verfügung stellen zu können. Die Miete für das Auto stellte sich als ziemlich teuer heraus, aber als Lipsey den Fiat dann fuhr, waren ihm der leistungsstarke Motor und der Komfort gerade recht.
Er kehrte zu seinem Hotel zurück und fuhr im Lift hinauf zu seinem Zimmer. Aufmerksam betrachtete er sich im Spiegel. In seinem englischen Anzug und den Schnürstiefeln ähnlichen Schuhen sah man ihm, so fürchtete er jedenfalls, schon auf den ersten Blick den Detektiv an. Er holte seine Kleinbildkamera aus seinem Gepäck und hängte sie sich um den Hals. Dann schob er den getönten Sonnenschutz über die Gläser seiner Brille und betrachtete sich erneut im Spiegel. Er sah jetzt aus wie ein deutscher Tourist.
Bevor er losfuhr, studierte er die Straßenkarten, welche die Leute vom Autoverleih vorsorglich in das Handschuhfach getan hatten. Poglio lag gut 30 Kilometer entfernt, und zwar nicht direkt an der Küste, sondern etliche Kilometer landeinwärts.
Er ließ Rimini hinter sich und folgte einer schmalen, zweispurigen Landstraße. Bei dem ruhigen Tempo von rund achtzig Stundenkilometern genoß er die Fahrt, während durch das geöffnete Fenster die frische Luft hereinströmte und draußen die flache, nicht gerade üppige Landschaft vorüberglitt.
Je mehr er sich Poglio näherte, desto schmaler wurde die Straße. Schließlich mußte er sogar ganz dicht an den Rand fahren, um einen entgegenkommenden Traktor vorbeizulassen.
Kurz darauf hielt er an einer Gabelung und winkte einem Feldarbeiter in einem T-Shirt, der statt eines Gürtels ein Stück Schnur um seine Hose trug. In stockendem Italienisch fragte Lipsey den Mann nach dem richtigen Weg. Die Antwort des Arbeiters verstand er zwar nicht, doch prägte er sich genau die Gesten des Mannes ein: eine durchaus nützliche Pantomime.
Als er das Dorf erreichte, verriet ihm nichts, daß dies Poglio war. Die kleinen weißgetünchten Häuser waren unregelmäßig verstreut; einige standen zwanzig Meter von der Straße entfernt, andere drängten ganz dicht heran: Vermutlich waren sie bereits gebaut worden, bevor es hier überhaupt so etwas wie eine deutlich abgegrenzte Straße gab. Dort, wo sich das Zentrum des Ortes zu befinden schien, bog die Straße um eine Ansammlung von Häusern herum, die sich wechselseitig stützten. Ein Coca-Cola-Schild an einem der Häuser kennzeichnete es als die Dorf-Bar.
Er fuhr durch das Dorf hindurch und befand sich im Handumdrehen wieder mitten im freien Land. Auf der schmalen Straße gelang ihm ein schwieriges Wendemanöver, und während der Rückfahrt bemerkte er noch eine weitere Straße in westlicher Richtung. Drei Straßen führen zu diesem Nest, dachte er; wirklich erstaunlich.
Wieder hielt er, diesmal neben einer alten Frau, die einen Korb trug. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, und ihr runzliges Gesicht war bleich, so, als hätte sie es ihr Leben lang sorgfältig vor der Sonne geschützt.
»Ist dies Poglio?« fragte Lipsey.
Sie zog eine Art Haube oder Kapuze ein Stück aus dem Gesicht und musterte ihn mißtrauisch. »Ja«, sagte sie. Und ging weiter.
Lipsey parkte bei der Bar. Es war jetzt kurz nach zehn, und der Morgen fing an heiß zu werden. Auf den Stufen vor der Bar saß ein alter Mann, einen Strohhut auf dem Kopf, einen Spazierstock quer über den Knien; offensichtlich fühlte er sich im Schatten recht wohl.
Lipsey lächelte, sagte ihm guten Morgen und ging dann an ihm vorbei in die Bar. Sie war ziemlich dunkel und roch nach Pfeifentabak. Es gab zwei Tische, einige Stühle und eine kleine Theke mit einem Hocker davor. Der kleine
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