Der Modigliani Skandal
Gesichter, jene so charakteristische Nase, die er Frauen fast ausnahmslos gab, der Einfluß afrikanischer Skulptur, die eigentümliche Asymmetrie. Dann trat er näher und studierte die Signatur. Außerdem prüfte er, ob die Rahmen der Bilder erneuert worden waren. Aus einer Innentasche zog er eine Stabtaschenlampe, deren starkes Licht ihm dabei half, nach verräterischen Spuren von Übermalung zu suchen.
Bei manchen Bildern genügte ein kurzer Blick; andere erforderten eine eingehende Untersuchung. Geduldig sah die Contessa zu, während er von einer Wand zur anderen ging. Schließlich wandte er sich zu ihr herum.
»Sie besitzen einige schöne Bilder, Contessa«, sagte er.
Rasch zeigte sie ihm den Rest des Hauses, als wüßten beide, daß es sich nur um eine Formalität handelte.
Als sie wieder zum Podest gelangten, blieb sie stehen. »Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?«
»Danke, ja.«
Sie gingen nach unten in einen Salon, und die Contessa entschuldigte sich, um in die Küche zu gehen und für Kaffee zu sorgen. Lipsey biß sich auf die Lippen, während er wartete. Es führte kein Weg drumherum: Nicht ein einziges der Gemälde war mehr als ein paar hundert Pfund wert, und ganz gewiß gab's keine Modiglianis im Haus.
Die Contessa kehrte zurück. »Rauchen Sie nur, falls Sie mögen«, sagte sie.
»Danke. Das werde ich tun.« Lipsey zündete sich eine Zigarre an. Dann zog er eine Karte hervor: Sie trug nur seinen Namen, seine Geschäftsadresse und Telefonnummer - jedoch keinen Hinweis auf sein Gewerbe. »Darf ich Ihnen meine Adresse geben?« fragte er. »Falls Sie sich entschließen sollten, Ihre Kunstsammlung zu verkaufen - ich habe in London ein paar Bekannte, die das sicher gern wüßten.«
Ein Ausdruck von Enttäuschung huschte über das noch immer hübsche Gesicht der Contessa, als sie begriff, daß Lipsey nichts kaufen wollte.
»Das ist Ihre vollständige Sammlung, wie ich annehme?« fragte er.
»Ja.«
»Keine Bilder, die im Keller oder auf dem Dachboden lagern könnten?«
»Ich fürchte nein.«
Eine Bedienstete kam mit Kaffee auf einem Tablett, und die Contessa schenkte ein. Sie stellte Lipsey Fragen über London und die neue Mode und die neuen Geschäfte und Restaurants. Er antwortete, so gut er es vermochte.
Nach genau zehn Minuten müßiger Konversation leerte er seine Kaffeetasse und erhob sich. »Sie waren überaus liebenswürdig, Contessa. Bitte lassen Sie doch von sich hören, wenn Sie das nächste Mal in London sind.«
»Ich habe Ihre Gesellschaft sehr genossen, Mr. Lipsey.« Sie begleitete ihn zum Ausgang.
Er ging rasch zum geparkten Fiat, stieg ein und wendete; im Rückspiegel sah er die Contessa, die noch in der Eingangstür stand und ihm nachsah, während er davonfuhr.
Er war sehr enttäuscht. Die ganze Sache schien umsonst gewesen zu sein. Falls es im Chateau jemals einen Modigliani gegeben haben sollte, so befand er sich jetzt jedenfalls nicht mehr dort.
Allerdings gab es noch eine Möglichkeit, und zwar jene, die er schon längst hätte in Betracht ziehen sollen. Miß Sleigns Freund, dieser Amerikaner, hatte ihn vielleicht absichtlich auf eine falsche Fährte gesetzt.
Konnte der Mann ihn, Lipsey, verdächtigt haben? Nun, die Möglichkeit bestand, und Lipsey war immer dafür, sämtliche Möglichkeiten systematisch durchzugehen. Mit einem leisen Seufzer faßte er den Entschluß, dem Paar auf der Spur zu bleiben, bis er sicher sein konnte, daß auch die beiden aufgegeben hatten.
Allerdings wußte er nicht recht, wie er das bewerkstelligen sollte. Schließlich konnte er sich nicht einfach auf ihre Spur setzen, wie er das in einer Stadt getan haben würde. Gab es eine andere Möglichkeit, als - einen unverdächtigen Abstand wahrend - die Leute nach diesen beiden Fremdlingen zu fragen?
Für die Rückfahrt nach Poglio wählte er eine etwas andere Route; er wollte zu der dritten Straße, die zum Dorf führte, vom Westen her. Ein, zwei Kilometer vor Poglio bemerkte er am Straßenrand ein Haus mit einer Bierreklame im Fenster. Draußen stand ein kleiner eiserner Rundtisch. Sah aus wie eine Bar.
Lipsey war hungrig, und Durst hatte er auch. Er bog von der Straße in den Parkplatz bei der Kneipe ein und hielt.
2
»Mike, du unverschämter Lügner!« rief Dee. Ihre Augen weiteten sich in gespieltem Entsetzen.
Seine vollen Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, doch seine Augen lächelten nicht. »Skrupel kann man sich nicht leisten, wenn man's mit so einem Typ zu tun
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