Der Mönch und die Jüdin
Wird Brid dadurch wieder lebendig, oder der arme kleine Hagen? Wird Ludowigs Gesicht dadurch wieder schön und heil? Was geschehen ist, ist geschehen. Ich verstehe natürlich, dass deine Gefühle jetzt sehr aufgewühlt sind. Das ist alles noch sehr neu für dich. Aber mit der Zeit wirst du einsehen, dass ich recht habe, da bin ich sicher. Und vielleicht könnt ihr beide, Anselm und du, dann wirklich noch Freunde werden. Ich weiß, dass das sein sehnlichster Wunsch ist.«
Konrad wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er spürte zwar, dass seine Schwester recht hatte, aber so schnell wollten Wut, Groll und Bitterkeit nicht weichen.
Sie setzten sich wieder in die Mauernische, wo sie zuvor schon gesessen hatten, und aßen schweigend noch ein wenig von dem Brot und dem Schinken. Konrad erinnerte sich an die schönen Zeiten mit Brigid, der ›großen‹, zwei Jahre älteren Schwester: Wie sie im Garten von Brids Haus gespielt hatten und mit der Mutter und Ludowig durch den Wald gestreift waren, gesungen, getanzt und gelacht hatten. Diese wiedergefundenen Erinnerungen erschienen ihm kostbar wie Juwelen. Immer wieder wollte er sie hervorholen und betrachten.
Während sie über kleine Erlebnisse und Begebenheiten aus der Kindheit plauderten, dachte Konrad: Wem soll ich denn vertrauen, wenn nicht meiner Schwester? Und er erzählte ihr von Hannah, schüttete ihr sein Herz aus, einschließlich seiner Fluchtpläne.
»Oh, Konrad, ich freue mich so für dich!«, sagte Brigid. »Auch wenn das natürlich bedeutet, dass ich dich bald schon wieder verlieren werde. So ist es nicht ganz uneigennützig von mir, wenn ich sage: Dein Plan ist gut. Widogard wird euch mit Freude bei sich aufnehmen. Dann könnt ihr in Ruhe alles lernen, was ihr wissen müsst, um auf große Fahrt zu gehen: Reiten, da lässt sich dein Können sicherlich auch noch verfeinern … Nahkampf mit dem Messer … Schwertkampf, Jagen und Fischen … die Behandlung von Verletzungen und Krankheiten« – sie zählte an ihren Fingern auf, was Konrad und Hannah alles lernen sollten, und hob dann lächelnd den Kopf. »Wie schön! Das bedeutet, dass wir noch viel Zeit zusammen verbringen können, ehe ihr aufbrecht! Und euch stehen ausgezeichnete Lehrer zur Verfügung: außer mir, natürlich, sind da noch Rainald, Ludowig, Wolfram, Widogard und Bernulf. Ich bin sicher, dass sie alle gerne mitmachen. Oh, wie aufregend! Und die Beschaffung geeigneter Pferde lass nur meine Sorge sein.«
Sie drückte Konrad an sich. »Danke, dass du mich ins Vertrauen gezogen hast, Bruder. Dann bin ich also jetzt Teil deiner kleinen Verschwörung! Keine Angst, gemeinsam werden wir es schon schaffen, Hannah sicher aus der Burg zu bringen.«
Brigids Worte erfüllten Konrad mit neuer Zuversicht. Sie sagte, sie wolle nun nach unten gehen, um nach den Zwillingen zu sehen. »Auf die Amme ist zwar stets Verlass, aber als Mutter möchte man doch immer auch selbst nach dem Rechten schauen. Ich will nur hoffen, dass der morgige Tag kein schlimmes Blutvergießen bringt und Rainald und Anselm nicht in die Schlacht ziehen müssen.«
Sie empfahl Konrad, die Nacht auf dem Bergfried zu verbringen. »Bevor die Kinder da waren, habe ich das auch oft gemacht – allein und mit Rainald. Hier oben bekommst du eine Ahnung von der Heiligkeit der Welt.« Dann wünschte sie ihm eine gesegnete Nacht, nahm ihre Laterne und ging.
Konrad suchte sich einen windgeschützten Platz in einer Mauernische auf der Ostseite und richtete sich dort mit den Decken ein einfaches Nachtlager her. Schon bald fiel er in einen tiefen Schlaf. Im Traum sah er sich mit Hannah durch eine liebliche, südliche Landschaft reiten. Auf einem Hügel hielten sie an und schauten hinunter auf den tiefblauen Ozean. Er wusste, dass dort unten ein Schiff auf sie wartete. Als sie weiterritten, standen plötzlich zwei Gestalten vor ihnen und versperrten ihnen den Weg. Die eine war etwas kleiner und trug eine schwarze Kutte. Die andere wirkte groß wie ein Riese. Sie war ganz in Weiß gekleidet, hatte ein tief gefurchtes Gesicht mit einer gewaltigen Adlernase, und in ihren Augen funkelte kalter Hass. Als der Riese den Mund öffnete, um seine schreckliche Stimme ertönen zu lassen, wachte Konrad auf.
Er erhob sich und rieb seinen von dem harten Lager schmerzenden Rücken. Im Osten ging über einem endlosen grünen Meer aus Bäumen gerade die Sonne auf. Ein rosiges Leuchten floss durch den von milchigem Dunst bedeckten Himmel. Das unberührte, wilde
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