Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
Vom Netzwerk:
durchs offene Fenster.
    Nathan kam und brachte ihr Frühstück, ein üppiges Mahl mit Haferbrei, reichlich koscherer Rauchwurst und Rinderschinken, dazu eine Schale mit kandierten Früchten. »Natürlich steht uns als einer der führenden Familien eine besonders gute Verpflegung zu«, sagte er mit zufriedenem Grinsen. »Iss nur tüchtig! Du sollst schön rund und stattlich werden, das mögen die heiratswilligen älteren Männer, denen ich dich demnächst vorführe.«
    Hannah aß tatsächlich das ganze Frühstück auf, aber nicht, um schön zu werden für seine heiratswilligen Männer, sondern um Kraft zu sammeln – für die Flucht. Sie würde eine Gelegenheit zur Flucht finden, früher oder später. Sie würde wachsam sein wie ein Luchs.
    Nathan wartete geduldig, bis sie fertig war. Dann nahm er das Tablett und sagte im Hinausgehen: »Nachher komme ich wieder und bringe mein Weib mit. Sie wird deine blauen Flecken verarzten. Sie wird deine Haut einölen und dein Haar frisieren. Du siehst, ich sorge wirklich bestens für dich.«
    Nathan schob die Tür hinter sich zu und ging davon. Hannah hörte, wie sich seine Schritte entfernten. Aber sie hatte nicht gehört, dass sich der Schlüssel im Schloss umgedreht hatte. Es war unglaublich! Nathan hatte tatsächlich vergessen, die Tür abzuschließen. Vielleicht lag es an der Aufregung der letzten Tage – ein Augenblick der Unkonzentriertheit. Angespannt lauschte sie, ob er seinen Fehler bemerkte und zurückkam, um das Abschließen nachzuholen. Aber er kam nicht.
    Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Das Schicksal meint es gut mit mir, dachte sie, mit Konrad und mir. Sie stand auf und spähte durch das hoch angebrachte kleine Türgitter. Der enge, düstere Gang zwischen den Zellen war leer, niemand war zu sehen. Rechts, durch die offene Tür, durch die Nathan sie hergeschleift hatte, fiel Tageslicht. Diese Tür führte also nicht unmittelbar in die Pferdeställe. Wenn sie dem Tageslicht folgte, würde sie vermutlich auf dem Burghof, mitten im jüdischen Lager landen und damit Nathan oder einem seiner Söhne direkt in die Arme laufen. Das Gleiche drohte ihr in den Ställen.
    Sie spähte nach links. Dort öffnete sich der Gang zu einer Art Kammer. In deren Boden war ein Gitter eingelassen, unter dem sich vermutlich ein tiefes Verlies für die besonders unglücklichen Gefangenen befand. Aber in der Kammer gab es noch etwas anderes, was sehr viel interessanter war: eine Tür, die offen stand, und dahinter eine Treppe nach oben.
    Hannah überlegte fieberhaft, in ständiger Angst, Nathan könnte plötzlich zurückkommen und alles zunichte machen. Auch durch die Tür vor der Treppe fiel Licht. Sicherlich gab es an der Treppe ein kleines Fenster. Wenn Hannah dorthin floh …
    Möglicherweise erwies sich die Treppe als Sackgasse, führte in irgendein Obergeschoss, von dem aus es nicht weiterging. Dann saß sie in der Falle. Aber vielleicht war die Treppe der Weg in die Freiheit, und Hannah gelangte über irgendeinen Gang weg von dem Teil der Burg, wo die Juden sich aufhielten, hin zu Konrad und seinen Freunden.
    Vorsichtig öffnete sie die Tür. Sie riskierte einen kurzen Blick zu den Ställen. Die Leute, die sich dort einquartiert hatten, waren ganz mit sich und ihren verstörten, überdreht lärmenden Kindern beschäftigt. Niemand schaute zum Kerker hinüber. Auf Zehenspitzen, so gut das mit ihren vielen blauen Flecken ging, schlich sie in die Kammer und näherte sich der Tür. Irgendwie sah die Treppe vielversprechend aus. Durch ein kleines Fenster, das sich etwas oberhalb befand, schien die Morgensonne herein.
    Da packte sie jemand an der Schulter. Hannah zuckte zusammen und schrie vor Schreck. Onkel Nathan stieß sie mit dem Rücken gegen die Wand und schlug ihr brutal ins Gesicht. Entsetzt sah sie, dass in einer Ecke der Kammer ein Hocker stand, den sie vom Gang aus nicht hatte sehen können. Dort hatte Nathan still gesessen und auf sie gewartet wie ein Jäger auf seine Beute.
    »Schade«, sagte er, drehte ihr den Arm auf den Rücken und schob sie zu ihrer Zelle zurück. »Das mit der nicht abgeschlossenen Tür war ein kleiner Test. Leider hast du ihn nicht bestanden. Du musst mir immer gehorchen. Auch wenn ich gerade nicht da bin. Aber keine Sorge, das wirst du lernen. Ich bin ein guter Lehrer.« Er warf Hannah auf die Strohmatte, schloss die Tür hinter sich und zückte die dicke Reitgerte, die er am Gürtel trug.

A BSCHIED
    E ine ganze Weile verstrich, in der Konrad einfach

Weitere Kostenlose Bücher