Der Mönch und die Jüdin
Gruppe von Mönchen, die zur Kirche gingen und dort in einem Seiteneingang verschwanden.
»Im Vergleich zu London, Köln oder gar Paris herrscht hier eine geradezu paradiesische Ruhe«, sagte Gilbert. »Das Leben in einer großen Stadt kann auf die Dauer ganz schön anstrengend sein.«
»Dennoch kann ich es kaum erwarten, Köln mit eigenen Augen zu sehen«, erwiderte Konrad. Ruhe hatte er im Kloster weiß Gott genug gehabt. Jetzt war er hungrig nach neuen Eindrücken. »Glaubt Ihr denn, dass die großen Städte wirklich Orte der Sünde und des Lasters sind, wie unser alter Abt immer gepredigt hat?«
»Nach meiner Erfahrung sind die Menschen in Städten nicht besser oder schlechter als auf dem Land«, erwiderte Gilbert. »Da aber in der Stadt so viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, ist alles viel konzentrierter. Man findet in einer großen Stadt die ganze Bandbreite menschlicher Stärken und Schwächen auf kleinstem Raum. Manchmal wird diese geballte Menschlichkeit einfach zu viel, dann hat man das Gefühl, nicht mehr frei atmen zu können. Aber das ist nur mein persönlicher Eindruck. Ihr müsst selbst herausfinden, wie Köln auf Euch wirkt. Und natürlich ist auch jede der großen Städte wiederum ganz anders. Jede hat ihre eigene Atmosphäre. London oder Paris werdet Ihr anders finden als Köln, und Rom – nun, Rom ist ohnehin eine Sache für sich.«
Anselm kam zurück. »Dieser Vogt, der vor ein paar Jahren von Erzbischof Bruno eingesetzt wurde, hat keinen sonderlich guten Ruf«, sagte er mit gedämpfter Stimme und spürbar verärgert. »Und, wie ich feststellen musste, leider zu Recht. Mir, dem erzbischöflichen Marschall gegenüber, ließ er es an dem nötigen Respekt fehlen. Außerdem war er betrunken, und das schon am Nachmittag!«
Nachdem Anselm seinem Ärger Luft gemacht hatte, führte er sie zu einer Herberge, die auf einer kleinen Anhöhe gleich über dem Fluss stand und ziemlich baufällig und heruntergekommen aussah. Konrad erinnerte sich mit Unbehagen an Matthäus' diesbezügliche Warnungen und fragte: »Gibt es denn hier in Bonn kein Kloster, bei dem wir um Nachtquartier bitten können?«
Anselm schüttelte den Kopf. »Nein. Natürlich hätte ich verlangen können, dass der Vogt uns in der Burg beherbergt. Aber, ehrlich gesagt, ziehe ich auf Reisen einfache Unterkünfte vor, wenn ich nicht bei mir wohlgesinnten Freunden zu Gast sein kann. Diese Herberge hier ist besser, als sie aussieht, und der Wirt, ein ehemaliger erzbischöflicher Fußsoldat, vertrauenswürdig. Vor allem haben sie einen guten Stall und kümmern sich ordentlich um die Pferde. Und das ist wichtig, denn ich will, dass sie morgen frisch und ausgeruht sind.«
Im unteren Stockwerk befand sich eine von kleinen Fensterhöhlen nur schwach erhellte Wirtsstube, die von säuerlichem Weindunst erfüllt war, gemischt mit anderen Gerüchen, die Konrad noch weniger angenehm in die Nase drangen. In den dunklen Ecken lungerten einige Gestalten beim Würfelspiel herum und tranken Wein aus großen Krügen. Diese Männer kamen Konrad finster und gefährlich vor. Laster und Sünde schienen hier nicht weit entfernt zu sein, und Konrad beschloss, Matthäus' Warnungen ernst zu nehmen und wachsam zu sein. »Beim Glücksspiel lenkt der Teufel die Würfel«, hatte Fulbert öfter gesagt. Fromme Menschen trieben sich gewiss nicht an solchen Orten herum!
Der Wirt, ein kriegsversehrter Mann, dem ein Auge und eine Hand fehlten, bot ihnen zwei Unterbringungsmöglichkeiten an: einen großen, an die Wirtsstube angrenzenden Raum, den man sich mit ungefähr zwanzig anderen Reisenden teilen musste – einschließlich des durch den offenen Durchgang dringenden Wirtshauslärmes und Weindunstes. Die Strohlager in dem Raum stanken erbärmlich, und ein ganzes Rudel Mäuse huschte über den Lehmboden.
Dann gab es im ersten Stock noch ein – natürlich viel teureres – Zimmer für ›hohe Herrschaften‹, in dem vier grob aus Brettern zusammengezimmerte Betten standen. Als Anselm Konrads Blick sah, grinste er und sagte, dass sie herrschaftlich und unbescheiden genug seien, um dieses Zimmer zu nehmen. Konrad atmete erleichtert auf.
Nachdem die Pferde versorgt waren, setzten sie sich an einen etwas helleren Tisch in der Wirtsstube. Durch eines der kleinen Fensterlöcher konnte Konrad den Fluss sehen. Möwen jagten über das Wasser, und Fischer warfen von einem in der Nähe des Ufers vertäuten Kahn Netze aus. In der Mitte des Stromes glitt ein großer, mit
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