Der Mörder aus einer anderen Zeit
Einfamilienhäuser mit Blumenkästen auf Baikonen und vor den
Fenstern.
Norbert Tebbich bewohnte Nr.
28. Die drei ließen das Taxi ein Stück davor halten und Klößchen zückte sein
Portmonnee.
Der graue VW war nicht mehr zu
sehen. Vermutlich parkte er vor der Einbiegung.
»Du guckst dich ziemlich oft
um«, sagte Gaby, während sie zu ihrem Ziel schlappten.
»Hast du’s gemerkt?«
»Verfolgt uns wer?«
Klößchen spähte sofort in die
andere Richtung und wäre fast gegen eine Laterne gerannt.
»Ein grauer VW«, erwiderte Tim.
»Etwa drei Insassen.«
»Wollen die uns was?«
»Vermutlich dir. Du und Regina
— ihr seid beide verantwortlich für den PEW-Artikel. Aus der Sicht dieser
politischen Flachstecker muss die Strafe euch beide treffen.«
»Wollen die sich etwa an meinen
Haaren vergreifen?«
»Garantiert.«
»Wissen die denn nicht, dass
ich die Tochter meines Papis bin?«
»Wahrscheinlich nicht. So
selten ist der Name Glockner nicht. Oder es ist ihnen egal, weil sie an Größenwahn
leiden. Das ist vor allem eine Krankheit von Politikern. Und von Typen, die
gern Macht ausüben. Macht über andere.«
»Aber bitte nicht über meine
Haare.«
»Nur über meine Leiche kommen
sie an deine Haare ran, Pfote. Und ich habe vor, noch lange zu leben.«
»Wir sind da«, meinte Klößchen.
Es war ein schmales Grundstück,
das sich aber weit nach hinten erstreckte. Ein etwas verwahrlostes Häuschen
stand straßennah. Der Jägerzaun war schadhaft. Keine Einfahrt, keine Garage.
Laternenparker. Wahrscheinlich der grüne Ford dort am Zaun. An der Gartenpforte
ein hölzerner Briefkasten mit dem Metallschild: Norbert Tebbich.
Sie gingen zum Haus.
Tim wollte klingeln, hörte aber
in diesem Moment ein Geräusch. Auf der Rückfront. Dort — und überhaupt überall
auf dem Grundstück — verfilzten sich Büsche, Sträucher und Farne unter alten
Bäumen zu einer Art städtischem Privatdschungel.
Das Geräusch war metallisch.
Tim hatte es schon mal gehört und in unguter Erinnerung: das Repetieren, das
Durchladen eines Jagdgewehrs.
»Wartet hier!«, flüsterte er
und pirschte auch schon an der Schmalseite nach hinten.
Ein Trampelpfad führte von der
Rückfront des Hauses durch die wogende Botanik zu einer Laube, nein, einem aus
Stämmen gefügten Gartenhaus, einem Blockhaus mit gemauertem Sockel. Das Dach
war mit Schindeln gedeckt.
Ein Mann tigerte über den Pfad
zum Blockhaus, hatte einen Walkman auf den Ohren und wippte rhythmisch mit
elastischen Knien.
Quer vor sich hielt er einen Schießprügel,
ein Gewehr. Rechts ragte ein Stück Kolben hervor, links ein Stück Lauf. Es
schien ein alter Karabiner zu sein, jedenfalls eine militärische Bewaffnung.
Und der Mann repetierte, repetierte, repetierte...
Er war groß und stabil, eher
jung und trug ein Khakihemd mit Achselklappen. Jetzt betrat er das Blockhaus,
wobei er das Gewehr senkrecht hielt, weil er andernfalls nicht durch die Tür
gepasst hätte.
Ziemlich irrer Typ!, dachte
Tim. Hoffentlich hat er nen Waffenschein.
Tim mied den Pfad. Das
Blockhaus besaß Fenster. Tebbich — wer sonst sollte es sein?! — hätte ihn sehen
können.
Also geduckt durch die Büsche
zur Seitenfront. Auch dort war ein Fenster. Tim kauerte und riskierte ein Auge.
Wegen des Dschungels ringsum
reichte hier kein Tageslicht aus. In dem recht großen Innenraum brannte eine
schmucklose Deckenlampe. An der Rückwand standen vier wuchtige Holzschränke
nebeneinander. Sonst enthielt der Raum nur einen länglichen Holztisch und einen
gepolsterten Stuhl.
Tebbich stand vor einem der
Schränke. Tim sah das Gesicht im Profil. Das verzückte Grinsen galt offenbar
dem Schrank, bzw. seinem Inhalt.
Als jetzt beide Türen geöffnet
wurden, konnte auch Tim daran teilhaben: An mindestens zwei Dutzend Gewehren
aller Art, an Pistolen und Revolvern — die an Haken hingen — und einer fotogen
gestylten Mini-Maschinenpistole, wie sie von Top-Agenten/Terroristen in
filmischen Top-Thrillern zur gegnerischen Massenvernichtung benutzt wird. Glückstrahlend
stellte Tebbich den Karabiner, den er offenbar geputzt und geölt hatte — er
glänzte — dazu. Dann wurden die drei anderen Schränke besichtigt.
Sie enthielten ähnliche
Tötungswerkzeuge, außerdem Handgranaten, Munitionsschachteln und komplette Zielgeräte.
O Mann!, dachte Tim. Schon
wieder ein Irrer. Ein Waffennarr. Oder er handelt damit. Aber dieses Grinsen
auf dem Klopsgesicht lässt Leidenschaft vermuten. Hoffentlich fängt er keinen
Krieg
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