Der Mörder aus einer anderen Zeit
Foto von Rosamunde?«
Sein Gesicht war noch röter
geworden. Erregung hatte ihn gepackt. Die Unterlippe zitterte.
»Ich wahre ihr Ansehen«,
flüsterte er. »Ich als Einziger. Ich verehre sie. Ich pflege die Erinnerung.
Lasst euch nicht einfallen, irgendetwas Nachteiliges über sie zu schreiben.«
»Wir versprechen es!«, gelobte
Gaby.
Armer Hund!, dachte Tim. Dem
sind die Maßstäbe verloren gegangen. Umgibt sich mit Waffen — vermutlich aus
Lebensangst. Und betet ne knackige Ahnfrau an, die der Serienkiller gemeuchelt
hat.
Gabys Lächeln schien Tebbich zu
beruhigen. Sein Blick klarte auf. Geradezu wohlgefällig wurde Tims Freundin
betrachtet.
»Mädchen, du ähnelst ihr sogar.
Aber Rosamunde hatte grüne Augen. Außerdem war sie rothaarig. Und nicht so
schlank, sondern stattlich. Ihr Gesicht war runder — und der Mund breiter. Sie
hatte eine süße Stupsnase. Die hast du nicht. Ihre runde Stirn war auch nie von
einem Pony umwölkt.«
Gottlob! Nicht die Spur von
Ähnlichkeit, stellte Tim fest. Tebbich muss zum Augenarzt.
Plötzlich grinste der Mann.
»Wenn ihr versprecht, dass ihr Rosamundes Andenken ehrt, dann zeige ich euch
was.«
»Ist versprochen!«, sagte Gaby.
»Kommt rein!«
Tim folgte ihm als Erster und
sah sich vorsichtig um. Gab’s hier vielleicht auch Kobras, Pythons und Boas?
In der Diele war es unheimlich
dunkel. Keine Schlange griff an. Der Wohnraum war voll gepackt mit uralten
Möbeln. Eine unbeschreibliche Unordnung, aber kein Terrarium war zu sehen.
Vermutlich stand es im Schlafzimmer, damit Tebbich seiner Natter Gute Nacht
wünschen konnte.
Was sofort alle Blicke auf sich
zog, war das riesige Gemälde an der Wand.
Das Bildnis einer Frau. Kein
Ganzporträt, sondern ein so genanntes Kniestück. Unterschenkel und Füße waren
also nicht zu sehen.
Tim fühlte sich erinnert an die
österreichische Kaiserin Sissi. Eine gewisse Ähnlichkeit. Aber doch wohl eher
mit deren Zofe. Denn die vollsaftige Rosamunde Tebbich hatte einen unübersehbar
billigen Ausdruck im drallen Gesicht. Sie trug ein rotbraunes Kleid mit
Rüschen, hochgeschlossen, die Haare stark gelockt. Der Blick war etwas
spöttisch. Sie sah älter aus als 21. In den Händen ein kleiner Strauß weißer
Nelken.
»Ich habe sie malen lassen.
Nach einem Foto.«
Tebbichs Gesicht schwitzte vor
Eifer. Er starrte das Bild an. Es maß zwei mal einen Meter und war so hoch
gehängt, dass darunter noch ein schmales Podest Platz hatte. Darauf stand eine
Vase mit Nelken.
»Sie hat immer frische Blumen.
Jeden dritten Tag.«
»Darüber würde sie sich freuen
— wenn sie es wüsste«, sagte Gaby beklommen.
»Ich bin mir ganz sicher, dass
sie es weiß. Ihr Geist umgibt mich. Ich träume von ihr — jede Nacht. Ich weiß
auch, wer ihr Mörder war. Der damalige Oberbürgermeister Dr. Nimmnicht. Er hat
Rosamunde getötet, weil sie ihm ihre Gunst entzog. Natürlich wurde er nie
entdeckt. In seiner Position war er sicher. Aber er ist im Ersten Weltkrieg
verreckt. An einer Gasvergiftung.«
»Verstehe!«, nickte Tim. »Und
woher haben Sie Ihre Information?«
»Rosamunde hat es mir im Traum
berichtet.«
»So was ist leider kein Beweis.
Ihre Vorfahrin war eine... Wie würden Sie es nennen?«
»Kurtisane. Sie war die
Geliebte nobler Herren. Leider wurden in meiner Familie keine Einzelheiten
weiter gegeben. Ich habe nur ein paar Fotos gefunden. Und Zeitungsberichte.
Rosamundes Schicksal hat mich erschüttert. Und in ihre Schönheit... habe ich
mich schon als Junge verliebt. Sie ist und bleibt meine Göttin.«
In der Psychiatrie hat sein
Verhalten sicherlich einen Namen, dachte Tim. Den Namen einer Krankheit. Aber
jetzt wollen wir mal so tun, als hätte er alle Tassen im Schrank, dieser
seltsame Mensch.
»Sie können also bestätigen«,
fasste der TKKG-Häuptling zusammen, »dass Ihre Vorfahrin Rosamunde Tebbich im
blühenden Alter von 21 Jahren damals — nämlich vor 1900, als sie dem Gewerbe
einer Kokotte... äh... Kurtisane nachging — ermordet wurde. Unter nie geklärten
Umständen, über die nur Sie — aufgrund Ihrer Träume — Bescheid wissen.«
Tebbich nickte heftig und
stierte das Gemälde an, wobei er fast schielte.
»Sie war... eine wundervolle
Frau.«
»Ganz bestimmt«, sagte Gaby
leise. »Haben Sie Ihre Schlange nach ihr benannt?«
»Selbstverständlich. Habe ja
leider keine Tochter.«
Er liebt seine Ahnfrau, dachte
Tim, und er liebt seine Strumpfbandnatter. Außerdem sammelt er Waffen. Besser,
wir gehen jetzt.
»Dann auf
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