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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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›Aber es ist doch Ihr Sohn!‹ ›Richtig. Aber das braucht er ja nicht unbedingt zu erfahren!‹ ›Moment mal!‹, erkundigt sich da mein Vater. ›Und was ist mit seiner Mutter?‹ ›Die ist tot. Sonst hätte ich sie wieder zu mir geholt. Mit ihr zusammen hätte ich es noch einmal versucht …‹«
    »Augenblick!«, bat Laviolette. »Sie haben mir nicht erklärt, was Mariaud ist. Was bedeutet Mariaud? Ich weiß, das ist ein Weiler, aber …«
    »In Mariaud gab es damals ein Klarissinnen-Kloster, da oben, in frischer Landluft. Es diente als eine Art von Versteck für junge Mädchen aus guter Familie, die, wie man das damals nannte, eine ›Frucht der Sünde‹ empfangen hatten. Nun, in diesen Klöstern brauchte man immer Personal, um die jungen Damen zu bedienen, und angesichts der Tatsache, dass nicht nur die Reichen sündigten, ergaben sich naheliegende Lösungen.
    Kurzum! Um auf diesen Melliflore aus Barles zurückzukommen: Als er meinem Vater den Rücken zuwendet, versucht dieser, ihm die fünf Francs zurückzugeben. Doch der tritt einen Schritt zurück, wehrt ab und sagt: ›Sie brauchen das Geld dringender als ich!‹ Da kommt meinem Vater eine Idee. ›Moment noch!‹, sagt er, ›wissen Sie, wie das Kind heißt?‹ ›Ja. Sie haben es auf den Namen Clarisse Rogations getauft. Clarisse, weil es ihr Ordensname war, und Rogations, weil er an Rogationes zur Welt kam.‹ ›Clarisse? Für einen Jungen?‹ ›Was wollen Sie denn? Die kennen eben nichts anderes!‹
    Und damit verschwindet er. Mein Vater hat darauf die fünf Francs aufbewahrt. Manchmal hätte er sie gebraucht, aber er hat sie trotzdem nicht angerührt. Manchmal hatte er auch ein oder zwei Francs übrig, die er nicht unbedingt brauchte, die steckte er dann zu den anderen ins Sparschwein. Und dann hat er das Geld schließlich angelegt, um Zinsen zu erhalten.
    Wissen Sie, damals gab es noch keine Sparkasse. Voller Stolz teilte er mir mit: ›Als Clarisse Rogations seinen Wehrdienst antrat – er hatte sich immerhin für sieben Jahre verpflichtet –, war ich froh, ihm vierzig Francs überweisen zu können.‹ Danach hat er nie mehr etwas von ihm gehört.«
    »Und was ist mit dem Mann aus Barles?«, fragte Laviolette.
    »Auch von dem hat er nie wieder etwas gehört. Ich habe vorhin die Hohlwege und Dickichte am Wegrand erwähnt. Davon gibt es genug rund um Barles. Und Barles liegt mitten auf der Route, auf der ein Reisender diese Gegend durchquert. Mein Vater hat sie mir oft beschrieben. Zwei-oder dreimal hat der Mann seine Neffen aufgesucht, die nach dem Tod ihres Vaters noch eine Zeit lang zusammen geblieben waren. Sie waren damals erst zwölf und sechzehn Jahre alt. Einer von beiden war übrigens dieser Gaétan Melliflore, der erst Postbote und später Ausrufer gewesen ist und der die Tochter der Rosans geheiratet hat.
    Kurzum! Eines Tages hat mein Vater sie gefragt, ob ihr Onkel sie vielleicht aufgesucht habe. ›Welcher Onkel? Und warum sollte er uns besuchen?‹ Mein Vater erzählte, sie hätten diese Antwort gegeben, dabei hätten jedoch beide gleichzeitig einen verstohlenen Blick auf das Gewehr geworfen, das am Rauchfang hing. So gibt es eben kaum wahrnehmbare, instinktive Bewegungen, die bei uns hier den Charakter unglaublicher Geständnisse annehmen können. Man muss sie nur zu interpretieren wissen.«
    Der Alte seufzte.
    »Nun gut. Sie haben mir doch genau zugehört? Diese Gehölze, in denen man die Jagdhunde nie herumstöbern ließ … Dazu die zerstörerische Witterung, die wie ein Mühlstein über die Gegend geht … Kein Wunder, dass es hier so manche gibt, denen es an ihrem Todestag noch nicht einmal vergönnt war, einen Platz unter der Erde zu finden.«
    Er schaute in die Ferne, zu den Kastanienbäumen, die ein heftiger Windstoß gerade völlig entlaubt hatte, sodass nun das Skelett der Äste deutlich hervortrat.
    »Ich frage mich allerdings«, sagte er, »was Sie an der Geschichte dieser armseligen Menschen so faszinierend finden.«
    »Nun ja«, antwortete Laviolette, »Ihnen kann ich es ja anvertrauen, denn Sie wissen, was ein Geheimnis ist: Ich bin fest davon überzeugt, dass der Ursprung all dieser Verbrechen in der Vergangenheit liegt.«
    »Oh!«, lachte Pardigon. »Eine feste Überzeugung! Die taugt aber nicht viel vor Gericht!«
    »Und doch habe ich schon zweimal jemanden getroffen, der den gleichen eingedellten Kopf hatte wie der auf dem Porträt, das ich Ihnen neulich mitgebracht habe. Aber Sie haben ja Recht! Eine

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