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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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sich an diesem Tag vor mehr als hundert Jahren in Abriès zugetragen hat?«
    »Gott bewahre, natürlich glaube ich Ihnen das!«, rief Laviolette aus, sehr beeindruckt von der plötzlichen Heftigkeit des Doktors.
    »Übrigens«, fuhr der Alte traurig fort, »hat sich mein Vater an diesem Tag dafür entschieden, für immer arm zu bleiben. Genau an dem Tag hat er nämlich beschlossen, den Queyras zu verlassen, wo er gerade anfing, auf einen grünen Zweig zu kommen. Denn aufgrund seiner großen Beliebtheit hatte er schließlich Patienten, die ihn aus Mitleid aufsuchten. Sie kamen, um ihm Almosen zu geben! Und dennoch gab es einige unter ihnen, die besser schon früher gekommen wären.
    Kurzum, man konnte ihm noch so oft sagen: ›Bleiben Sie hier! Wir sind nicht alle so. Hier hat es auch früher schon Mädchen gegeben, die vorzeitig schwanger wurden, und dennoch sind sie unbehelligt hier geblieben! Nehmen Sie doch nicht alles so tragisch!‹ Aber da war nichts zu machen! Allein beim Anblick des täglichen Lebens dort oben, so sagte er mir, habe er die Wundmale Christi vor sich gesehen.
    Und so ist er dann gegangen. Und er ist dahin zurückgekehrt, wo es bereits einen anderen Arzt gab, und der sah es gar nicht gern, dass mein Vater wiederkam. Mein Vater hat sich ein Maultier gekauft (wovon nur, bei seinem Einkommen?), und mit Hilfe dieses Tiers hat er seinen Lebensunterhalt bestritten. Mit ihm ist er bis in die hintersten Winkel der entlegensten Täler vorgestoßen. Dorthin, wo der andere Arzt nicht hin wollte. Er hat Orte aufgesucht, die Sie sich gar nicht vorstellen können: Archail, Draix, Mariaud, Auzet, und Bellafaire.«
    »Was ist mit Barles?«, unterbrach Laviolette.
    Der Alte schaute ihn schief an. »Natürlich kam er auch nach Barles! Aber wenn Sie nicht noch ein wenig Geduld haben, werden Sie mich durcheinander bringen, und dann werde ich Ihnen gar nichts mehr sagen können.«
    Mit einer energischen Bewegung seines Stocks zog er eine Linie in den Staub vor der Bank, um das nichts zu unterstreichen.
    »Sie interessieren sich natürlich nur für die Geschichte dieser Melliflores, und so wollen Sie sicher wissen, ob mein Vater den aus Abriès wieder getroffen hat. Nun gut, er hat ihn wiedergesehen. Aber vorher hat er auch den anderen aus Barles behandelt, den älteren, der seinen Bruder auf Wanderschaft geschickt hat. Und zunächst einmal hat er von ihm Neuigkeiten erfahren.
    Mit vierzig Jahren lag dieser Mann im Sterben, und was immer er auch zu seinem Bruder gesagt hatte, auch er hatte später die gleiche Dummheit begangen wie sein Vater. Auch er hatte zwei Kinder. Und er wusste, dass er auf dem Totenbett lag, denn seine beiden Söhne warfen dem einzigen Gewehr, das die Familie besaß, bereits begehrliche Blicke zu.
    Und derjenige, der im Bett lag, krümmte sich vor Fieber, aber er litt auch unter dem Einfluss eines bösen Fluchs. Vor meinem Vater brach er in Stöhnen aus: ›Er hat mich entmannt! Ganz sicher hat er mich verhexen lassen! Ich bitte Sie! Das ist ja nicht schwer für ihn. Er ist da unten, am äußersten Ende von Afrika! Es soll dort von Hexern nur so wimmeln! Er schickt mir Drohbriefe. Boshafte, gehässige Briefe. Er schreibt, dass ich ruhig abwarten solle. Dass er wiederkommen würde … Davon bin ich überzeugt! Und ich weiß auch, dass er es ist, der mich umbringt!‹
    ›Das hatte der arme Teufel gar nicht nötig‹, sagte mein Vater. ›Sein Brader ist ganz von allein gestorben, an Darmtuberkulose. Die gedieh damals in diesem Winkel besonders gut, wo niemand darauf achtete, welches Wasser er trank. ‹«
    Pardigon spuckte vor sich auf den Boden, um seine ganze Verachtung für diese Todeskandidaten aus vergangener Zeit auszudrücken, die nicht einmal in der Lage waren, auf das richtige Trinkwasser zu achten.
    »Und als sein Bruder dann zurückgekommen ist«, fragte Laviolette, »hat er da immerhin versucht, seinen rechtmäßigen Anteil von den Neffen einzufordern?«
    »Hören Sie mal! Halten Sie mich für einen Hellseher? Ich erzähle Ihnen das, was mein Vater mir gesagt hat, nicht mehr und nicht weniger! ›Als er zurückgekommen ist!‹«, murrte er missmutig. »Nun ja, gewiss …«, fuhr er zögernd und ein wenig unsicher fort. »Sicher, in dieser Gegend sind damals ziemlich viele Menschen verschwunden, zwischen Berg und Tal. Auf den Straßen, müssen Sie wissen, herrschte lange Stille, bis endlich mal wieder ein Fuhrwerk vorbeikam. Wer zu Fuß unterwegs war, rannte keuchend durch die Gegend,

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