Der Mörder mit der schönen Handschrift
Holzwürmern und Holzfliegen bearbeitet, als würde eine Armee von Bohrmaschinen dort Löcher für Dübel bohren.
Niemand außer Violaine hätte es dort aushalten können. Sie hingegen empfand sogar einen gewissen Genuss bei diesem gigantischen Zähneknirschen; ihre friedlichen Nächte konnte es nicht stören.
Nein, das war es nicht, was sie jedes Mal innehalten ließ, wenn sie hierher zurückkehrte. Beim Zuschlagen der Autotür kam ihr vielmehr augenblicklich jener Augusttag des Jahres 1944 wieder in den Sinn, an dem sie von einem heimlichen Besuch bei dem Notar zurückgekommen war, der später ihr Liebhaber wurde. Dieser hatte ihr ins Ohr geflüstert, wobei er sie fast berührte, was ihr mit einem Ehemann blühen konnte, der der Miliz angehörte: Sie lief Gefahr, sich von einem Tag auf den nächsten völlig mittellos wiederzufinden, allein auf die öffentliche Fürsorge angewiesen, wenn sie nicht schnell geeignete Schritte unternahm. Noch heute hatte sie seine eisige Stimme im Ohr: »Lassen Sie es sich gesagt sein!«
Später hielt sie sich zugute, dass diese »geeigneten Schritte« nie Gewissensqualen bei ihr ausgelöst hatten. Sie hatte gewusst, was zu tun war: ein simples Telefongespräch hatte genügt; eine kurze Unterredung, um den unsichtbaren Gesprächspartner ins Bild zu setzen, und schon konnte sie, nachdem sie den Hörer wieder ordentlich aufgelegt hatte, ohne zu zittern ihre in Unschuld gewaschenen Hände betrachten.
Violaine lächelte bescheiden bei der Erinnerung daran und bewegte sich auf das Haus zu. Sie fühlte sich unbeschwert, obschon sie sich ihrer Tat vollkommen bewusst war. Es gibt nun einmal Menschen, die sich ihre Schuld ohne weiteres eingestehen können, ohne Scham, Furcht oder irgendein Unbehagen dabei zu empfinden; Menschen, die keinerlei Urteil über die Abgründe ihrer Seele abgeben, obwohl sie diese vollkommen ausgelotet haben; Menschen, die still die Freuden des Daseins genießen, ohne jemals von ihren Taten verfolgt zu werden.
Der beschwingte Gang, mit dem Violaine Maillard auf das Haus zuschritt, war der beste Beweis dafür. Zart und zerbrechlich trippelte sie mit ihren dünnen Waden auf hohen Absätzen einher, und ihre Tasche schlug dabei gegen ihren mageren Hintern. Ihre gesamte Erscheinung wurde fast erdrückt von dem Wahrzeichen, das sie triumphierend in ihren Armen trug: von dem üppigen Strauß roter Gladiolen inmitten von knisterndem Zellophan.
Und doch stieg aus den verzweigten Klüften des Gebirges, die sie völlig kalt ließen, das traurige Raunen zu ihr hinab, in dem sich die Klage der Welt über die Todsünden ausdrückt. Aber wer versteht es schon? Wer hört überhaupt darauf? Der Abend, der sich über dem Talgrund von Chavailles ankündigte, war alles andere als sanft und friedlich. Hin und wieder tauchte der Cheval-Blanc zwischen langen Nebelfetzen auf, hoch über den dunklen Wäldern, auf denen er thronte. In dem Augenblick, als Violaine die Wagentür zuschlug, trug der auffrischende Westwind einen Schwall von Kindergeschrei herüber; eine weit entfernte Schule musste gerade ihre Tore geschlossen haben.
Behände stieg Violaine die wenigen Stufen hinauf, die zur Terrasse und zur Tür des Chalets führten. Sie stellte den Strauß auf den Gartentisch, wühlte in ihrer Tasche, zog den Schlüsselbund heraus und öffnete die Tür.
»Mein Liebling!«
Jedes Mal, wenn die Holzwürmer und Holzfliegen bei Violaines Rückkehr diesen Ausruf vernahmen, hörten sie wie versteinert mit einem Schlag auf, zu bohren. Dies dauerte gewöhnlich ein oder zwei Sekunden, dann brachen sie diese plötzlich eingetretene, unerträgliche Stille, und fuhren friedlich damit fort, sich gütlich zu tun.
»Mein Liebling, wenn Sie doch diesen Strauß sehen könnten, den ich Ihnen mitgebracht habe, Sie, der Sie die Blumen so sehr geliebt haben, ich versichere Ihnen, Sie wären zufrieden. Und erst recht, wenn Sie wüssten, was ich dafür bezahlt habe, wo Sie sich doch immer gewünscht haben, dass ich mein Licht nicht unter den Scheffel stelle!«
Sie brach in heiteres Gelächter aus.
Das Wohnzimmer, voll gestopft mit unnützen Gegenständen, war zum Friedhof für immer wieder hinzugekommene Erbstücke geworden, deren man sich nie hatte entledigen wollen. Es enthielt drei Truhen, drei Tische, zwei Nähmaschinen, jede Menge Stühle und Sessel, die entlang den Wänden in einer Reihe aufgestellt waren, wie auf den Seiten einer Tanzfläche. An den Deckenbalken hatte man fünf oder sechs Kronleuchter
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