Der Mörder mit der schönen Handschrift
bessere Gelegenheit vorstellen als einen Ball, um jemanden heimlich ins Jenseits zu befördern? Unser Mörder ist schließlich ein Experte in solchen Dingen.«
»Und dann noch auf Malefiance«, ergänzte Laviolette. »Das ist schon keine Ahnung mehr, das ist genau geplant. Aber wie zum Teufel sind Sie an die Einladung gekommen?«
Chabrand wendete seinen Blick ab, hörte auf, durch den Raum zu schreiten, und wirkte plötzlich zerknirscht. »Ich …«, begann er zögerlich, »ich habe Pénélope … in … in einem Nachtclub kennen gelernt …«
Das Wort schien ihm im Hals stecken zu bleiben. Verlegen fuhr er mit dem Finger innen um den Kragen seines Hemdes, so schwer fiel es ihm, Laviolette eine Sache zu gestehen, die er selbst als eine Art von Verfehlung betrachtete.
»Oh, ich war nur ein einziges Mal in diesem Club! Denn … Es kommt hin und wieder vor … also kurz: ich hopse gerne ein bisschen.«
Mit ebenso viel Mitgefühl, wie es die Ameise gegenüber der Grille in der Fabel von La Fontaine aufbrachte, wiederholte Laviolette: »Sie hopsen also, wie Sie es zu nennen belieben.«
»Ja, ich tanze! Was ist daran so verwunderlich bei einem Mann in meinem Alter?«
»Oh, nichts, bei Gott, nicht das Geringste! Also: viel Spaß beim Rumhopsen«, setzte er hinzu und reichte dem Richter die Hand.
Chabrand schüttelte den Kopf: »Nur ungern misst’ ich euren Rat in solcher Prüfung«, rezitierte er. »Denn sehen Sie … diese Einladung … entweder handelt es sich hierbei um eine Herausforderung oder um einen Hilferuf.«
»Ich soll Sie begleiten? Rumhopsen ist aber nicht meine Sache!«
»Ich denke, wenn Sie die zwanzig Francs hinblättern, wird man Sie auch so reinlassen.« Chabrand setzte sich wieder und sah Laviolette durch seine Brille forschend an. »Sie halten mit etwas hinter dem Berg«, sagte er vorwurfsvoll. »Sie haben mir noch nie alles gesagt, was Sie wussten. Heute noch weniger als früher, vor ihrer Pensionierung, weil Sie heute niemand mehr dazu zwingen kann! Sie weichen mir aus! Sie tun so, als interessierten Sie die Toten überhaupt nicht. Und wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, dass Sie dem Mörder immer mehr Sympathie entgegenbringen. Sie entschuldigen seine Taten, Sie haben Verständnis dafür! Man braucht sich nur anzuschauen, auf welch unverfrorene Weise Ihre Katzen Sie ausnehmen, um zu erraten, in welch fragwürdige Bezirke Sie den Begriff der Barmherzigkeit ausdehnen.«
Laviolette schüttelte den Kopf. »Das ist nicht ganz richtig«, sagte er. »Ich kenne den Mörder ja gar nicht.«
»Nun, ich will mich genauer ausdrücken: Meinetwegen kennen Sie ihn nicht, aber Sie haben sich ein Bild von ihm gemacht.«
Chabrand zeigte mit dem Finger auf Laviolettes Brust.
»Der Überfluss Ihrer Seele ist in die des Mörders übergeschwappt! Um es deutlich zu sagen: Er ähnelt Ihnen wie ein Bruder! Deshalb stellen Sie sich seit zehn Tagen tot.«
Einige Sekunden lang blickten sich die beiden sehr aufmerksam an.
»Und nun?«, antwortete Laviolette schließlich. »Soll ich jetzt vor Ihnen auf die Knie fallen und um Vergebung flehen?«
»Sie sollen mir jetzt beistehen und sich nicht aus allem raushalten!«
Chabrand ging auf die Garderobe links von der Eingangstür zu. Er nahm den Hut, den Mantel und den endlos langen Schal vom Haken. Er breitete den Mantel aus und hielt ihn Laviolette einladend entgegen. Der stand seufzend auf und warf einen letzten bedauernden Blick auf die Flasche Chambertin und das Buch mit dem verblassten Titelbild.
»Wenn ich mir den Tod hole, so haben Sie mich auf dem Gewissen.«
»Wir haben Frühlingswetter«, versicherte ihm Chabrand, »und es geht ein frisches Lüftchen, wie Sie es mögen.«
Tatsächlich war die Luft draußen wie im April, und der Wind, auf den Chabrand angespielt hatte, kam vom Meer und hatte Regen im Gepäck. Als Laviolette die Nase aus der Tür streckte, stockte er.
»Das nennen Sie ein frisches Lüftchen? Warten Sie kurz, ich hole meinen Regenschirm.«
Er kehrte um und kam einen Augenblick später mit einem großen blauen Regenschirm unter dem Arm zurück, den er vor einiger Zeit in Marvejols erstanden hatte.
»Mit dem Ding da werden wir uns lächerlich machen«, knurrte Chabrand.
Er tippte vorsichtig mit dem Finger an seine Fliege. Dieser robuste Wetterschutz für Schafhirten aus den Causses schien ihm so gar nicht zu seinem eleganten Aufzug zu passen.
»Besser lächerlich als tropfnass. Sehen Sie nur, was sich dort zusammenbraut. Sehen Sie doch
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