Der Mörder mit der schönen Handschrift
erstickt vor Zorn.
Dennoch war ihre Beherrschung so groß, dass das Tempo der Sonate (poco sostenuto) nicht unter ihrer Wut zu leiden hatte. Mochten die Schritte widerhallen, die entschlossen geöffneten Türen in ihren ungeschmierten Angeln quietschen, Véronique spielte weiter, aufrecht sitzend, mit einem keineswegs fröhlichen Lächeln um den Mund.
Der umhergehende Unbekannte kam nun wieder aus dem hinteren Teil des Flurs mit immer gleich bleibendem Schritt zurück. Plötzlich blieb er stehen. Véronique stockte der Atem. Ihr heftiger Herzschlag pochte bis in ihre Fingerspitzen, sodass sie beim Spielen eines Vorschlags ins Stocken geriet. Sie fing sich sofort wieder.
Im zweiten Stock hielten die zögernden Schritte zweimal inne und setzten darauf jedes Mal wieder ein, aber Véronique zuckte nun nicht mehr zusammen; in heiterem Gleichmut erfüllten Brahms’ nachdenkliche Klänge die Räume der Stille.
Da stiegen plötzlich die Schritte unter neuerlichem Quietschen und Poltern die Treppe weiter hoch. Jetzt ging es über ältere Stufen, die weniger gut erhalten waren als die ersten. Einige lose Tonfliesen kippten manchmal unter dem schweren Gewicht.
»Meine Speicher …«, dachte Véronique. »Was immer die arme Ambroisine behaupten mag, sie sind eben doch größer als ihre. Er ist immer noch nicht fertig mit Suchen. Such nur, du armer Dummkopf! Such nur! Bis zur Erschöpfung! Bei mir erreichst du nichts damit!«
Von der nah gelegenen Kirche Saint-Jérôme schlug erneut die Stunde; ein einziger feierlicher Schlag. Dort oben, unter dem Gebälk aus roh gezimmertem Lärchenholz, auf dem das Dach seit hundertfünfzig Jahren ruhte, hörte man das stark gedämpfte Geräusch hin und her geschobener Möbel, das tiefe Seufzen der Luft, die beim Aufklappen der Deckel aus den großen Koffern entwich, mit denen die Aussteuer der Frauen ins Haus gekommen war, den dumpfen Fall verschiedener Gegenstände, die offenbar ungeduldig und ärgerlich weggeräumt wurden.
Eine aus ihrem Versteck aufgescheuchte Katze ließ einen durchdringenden Klagelaut vernehmen, rannte mit wütendem Miau die Treppe hinunter und flüchtete sich in den Garten.
Nach einem dumpfen, besonders brutalen Schlag erklang dort oben ein leises Weinen.
»Die Harfe meiner Mutter!«, dachte Véronique. »Der Rüpel hat ihr wohl einen Fußtritt gegeben!«
Diese Harfe hatte früher das Nähzimmer geziert, und nach dem Tod seiner Frau hatte Monsieur Champourcieux sie zusammen mit dem Webstuhl und den Beistelltischchen auf den Speicher bringen lassen. Seiner darüber verwunderten Tochter hatte er erklärt: »Vertraute Gegenstände rufen die Geister ihrer Besitzer zurück. Deine Mutter hat mit ihrer Harfe meine Ohren lang genug gemartert. Ich lege keinen Wert darauf, ihren Schatten davor sitzen zu sehen.«
Als handele es sich um die Instrumente eines Orchesters, das ihre Sonate begleitete, achtete Véronique hinter den gedämpften Klängen der nur eben berührten Tasten mit ihren feinen Ohren genau auf die Art aller Geräusche, die von dort oben kamen.
Sie fürchtete schon, dass der Augenblick niemals kommen würde, an dem der Eindringling endlich entmutigt die Speicher verlassen und über die verschiedenen Stockwerke wieder zu ihr gelangen würde. Beinahe wäre sie von dem erneut aufkommenden Wind überrascht worden, der nun, nachdem er über eine Stunde lang geschwiegen hatte, aus einer anderen Richtung kam. Ein Wind, der sich an den entferntesten Gegenden weit hinten am Horizont versucht hatte und der nun herankam, um die Platanen gegen den Strich zu bürsten und die Blätter gleich büschelweise auszureißen; ein Wind, der die Fassade des Hauses mit den entriegelten Fensterläden ohrfeigte; ein Wind, der mit seinem brutalen Lärm dem Unbekannten sehr gelegen kam, als er nun aus dem Speicher hervortrat, dessen verzogene Tür sich langsam und knarrend hinter ihm schloss.
Und dann plötzlich wieder die schweren Schritte, die ebenso mühsam wie beim Aufstieg die Treppe herunterkamen.
Véronique verdoppelte ihre Aufmerksamkeit. Es galt, das Näherkommen dieser Schritte genau einzuschätzen und die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Denn jetzt blieb dem Eindringling nur noch dieses Stockwerk zur Durchsuchung übrig, das Stockwerk, dessen erste Tür, an der er notwendigerweise vorbeikommen musste, weit offen stand und den Blick freigab auf Véronique, die vor ihrem Klavier saß. Er konnte sie gar nicht verfehlen.
Véronique betrachtete intensiv das
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