Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
der nationalen Strafverfolgungsbehörden automatisch Zugang zu den DNA- und Fingerabdruck-Daten anderer Mitgliedsstaaten gewährte, war Enzo nun einmal keine staatliche Strafverfolgungsbehörde.
«Und wie kommen Sie dann da rein?», hakte Nicole nach.
«Gar nicht. Aber Jean-Marie Martinot, der Polizist, der die ursprünglichen Ermittlungen geleitet hat, kann seine ehemaligen Kollegen vielleicht dazu bringen, den Fall wieder aufzurollen. Selbst dann müssen sie die Sache erst mal der Police Nationale schmackhaft machen. Und Sie wissen ja, wie flexibel die französische Bürokratie ist. Das kann dauern.»
«Aber falls der Täter tatsächlich bei irgendwem in der Datenbank ist, dann doch am ehesten bei uns, oder nicht?»
Enzo zuckte die Achseln. «Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Die französische Datenbank ist nicht sehr umfangreich. Die größte in ganz Europa haben die Briten, trotzdem kann es sein, dass er auf keinem europäischen Computer zu finden ist. Inzwischen gibt es weltweit Dutzende Datenbanken, und die Amerikaner haben die zweitgrößte nach den Briten. Wenn wir da reinwollen, bedeutet allein das einen Papierkrieg sondergleichen.»
Sie unterhielten sich im Computerzimmer im rückwärtigen Teil des Hauses. Mehrere Monitore waren eingeschaltet. Enzo ließ den Blick darüberwandern. «Und was macht die Suche nach unserem Onkel Doktor?»
Nicole verzog das Gesicht. «Bis jetzt Fehlanzeige. Es gibt jede Menge Agenturen und Verzeichnisse. So unglaublich das klingt, aber viele davon haben nicht mal Fotos. Dann kommen natürlich noch all diese Websites dazu, auf denen sogenannte Schauspieler ihre Dienste anbieten.» Sie wurde rot. «Dabei geht’s meistens um Sex, Sie wissen schon, exotische Tänzer, Escorts, so was in der Art. Aber vermutlich werden Sie Ihren Arzt leichter identifizieren können, wenn er angezogen ist.»
Enzo schmunzelte. «Schätze mal, das Gesicht würde ich in jedem Fall wiedererkennen.»
«Na ja, ich hätte hier ein paar, die Sie sich anschauen können. Allzu viel Hoffnung mache ich mir allerdings nicht.»
Wie sich zeigte, hatte sie in einem Ordner fünfzehn JPEG-Dateien zusammengefasst. Enzo beugte sich über den Schreibtisch, während Nicole ein Bild nach dem anderen öffnete. Es waren Profi-Aufnahmen, stets vor neutralem Hintergrund und so beleuchtet, dass das Gesicht besonders vorteilhaft erschien. Gab es wenig, das sich lohnte, ins rechte Licht gerückt zu werden, waren die Mängel mit Weichzeichner kaschiert. Ein Katalog von Männern zwischen vierzig und fünfzig mit zu weißen Zähnen, eingezogenem Bauch und einem strahlenden Blick, der mühsam verbarg, dass jeder Optimismus nach allzu vielen Fehlschlägen längst erloschen war. Sein Arzt war nicht dabei.
Nicole zuckte die Achseln. «Ich suche weiter.»
Enzo war von Annas unterkühlter Begrüßung enttäuscht gewesen. Er hatte auf dieselbe Wärme gehofft, mit der sie ihn verabschiedet hatte. Ihr Duft und Geschmack hafteten ihm noch lebhaft im Gedächtnis. Doch sie wahrte immer noch Diskretion vor seinen Töchtern.
Als er aus dem Arbeitszimmer kam, wartete sie am Fuß der Wendeltreppe auf ihn, um ihm rasch einen Kuss zu geben und die Hand zu drücken. «Du hast mir gefehlt», flüsterte sie.
Er strich ihr mit den Fingern durchs Haar und schmiegte seine Hand an ihren Hinterkopf, während er sie an sich zog und ihren Kuss erwiderte – lang und leidenschaftlich, erregt durch ihre Nähe. Sie trat lächelnd zurück und wackelte mit dem Finger.
«Nicht vor den Kindern.»
Er grinste.
Sie nahm ihn bei der Hand. «Ich habe eine Überraschung für dich.» Sie führte ihn ins Wohnzimmer, wo sie an einer Wand sämtliche Gemälde abgehängt und durch eine große Weißwandtafel in Augenhöhe ersetzt hatte. Er hatte einmal erwähnt, dass er ein visueller Mensch sei und daher zu Hause immer mit einer Wandtafel arbeitete, um seine Gedanken und Ideen optisch zu ordnen und mit Pfeilen zu verbinden, sobald er Zusammenhänge erkannte.
Ungläubig sah er sie an. «Wo in Gottes Namen hast du die aufgetrieben?»
Sie zuckte nur die Achseln. «Ein paar Anrufe, ein Handwerker aus dem Dorf, und schon hing sie.»
«Aber haben deine Freunde denn nichts dagegen, wenn du ihr Haus so verunstaltest?»
«Ach was, das macht ihnen nichts aus.»
Wäre es sein Haus, dachte Enzo, wäre es ihm nicht egal gewesen. Doch er sagte einfach nur «Danke» und gab ihr noch einen Kuss. «Und wie ist es so gelaufen?»
«Alles in Ordnung.» Doch sie klang
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