Der Moloch: Roman (German Edition)
er, wie von innen der Riegel knirschend beiseitegeschoben wurde. Er trat zurück, als die Türen aufgestoßen wurden. Der Gestank von Blut und Tod schwallte heraus, und in Riis’ Magen machten sich Furcht und Ekel breit. Diese Furcht wurde jedoch im nächsten Moment durch Erleichterung verdrängt, als Marcellus, dicht gefolgt von Rafael, gelassen herauskam. Sie wirkten seltsam und bedrohlich, denn im Mondlicht sahen sie aus, als wären sie vollkommen von schwarzer Farbe bedeckt. Das Weiß ihrer Augen schimmerte unheimlich. Da erkannte Riis, dass sie mit Blut getränkt waren, als wären sie darin geschwommen. Was ist da drin passiert?, fragte er sich. Ein Wind wehte über den See, und er spürte, wie sich die Haare in seinem Nacken aufrichteten.
Marcellus blieb stumm und sah an ihm vorbei. » Hauptmann Riis«, sagte Rafael. » Richtig?«
Riis war beeindruckt und geschmeichelt, dass man sich an seinen Namen erinnert hatte. » Ja, Herr.«
» Was ist hier passiert?«
» Wir haben drinnen Kampfgeräusche gehört, Herr. Aber die Männer der Eintausend haben sich geweigert, uns Zutritt zu gewähren. Wir haben sie getötet«, fuhr er schlicht fort. Er hätte gerne Fragen gestellt, fürchtete sich jedoch davor.
Marcellus schien wieder zu sich zu kommen. » Das hast du gut gemacht«, sagte er. » Gib mir deinen Dolch.«
Riis zog rasch seinen Dolch von der Seite, drehte ihn um und reichte ihn seinem Herrn mit dem Griff zuerst. » Er ist noch blutbefleckt«, entschuldigte er sich, denn er hatte ihn nur flüchtig an den Kleidern eines der toten Leibwächter abgewischt. Dann jedoch begriff er, wie albern das klang, denn die Hand, in die er den Griff legte, war über und über mit Blut beschmiert. Marcellus wirbelte das Messer herum, packte die Spitze, drehte sich um und schleuderte es in den See. Die Klinge grub sich in den Hals eines Rebellen, der unbeholfen versucht hatte, im Schutz der Dunkelheit ans Ufer zu schwimmen.
» Sorg dafür, dass diese Leichen beseitigt werden, Hauptmann«, befahl Marcellus. » Dein toter Kamerad wird mit allen Ehren bestattet. Die Leichen der Rebellen werden verbrannt.«
» Ja, Herr.« Riis warf einen Blick in die stumme Dunkelheit des Opernhauses. » Werden Ärzte gebraucht?«, erkundigte er sich unsicher.
» Nein. Sie sind alle tot. Einschließlich der Lady Petalina.«
Riis sagte nichts. Es stand ihm nicht zu, dem Mann sein Mitgefühl auszudrücken. Was ist da drin passiert?, dachte er jedoch erneut.
» Der Rest der Leoparden-Zenturie muss zusammengerufen werden«, fuhr Marcellus fort. » Es besteht zwar die Möglichkeit, dass sie von diesem Plan nichts wussten, aber wir dürfen kein Risiko eingehen.«
» Ja, Herr.«
» Also …« Marcellus sah ihn zum ersten Mal direkt an. Riis widerstand dem Impuls, einen Schritt zurückzuweichen, beinahe überwältigt von der Macht, die dieser Mann ausstrahlte. » Ich benötige eine neue Zenturie. Wähle neunundneunzig Krieger der Ersten Adamantine aus, ganz gleich welchen Ranges. Du hast die volle Befehlsgewalt, du bist jetzt ihr Kommandeur. Sie wird als die Zenturie der Nachtfalken bekannt werden. Der Name de r Le oparden dagegen wird aus den Geschichtsbüchern getilgt.«
Riis senkte den Kopf. » Es ist mir eine Ehre, Herr. Willst du, dass die Nachtfalken die Männer der Leoparden verhören?«
» Nein, das überlassen wir anderen. Wir werden herausfinden, wer für die Ereignisse dieser Nacht verantwortlich ist.«
Dann gingen die beiden Männer weiter über den weißen marmornen Damm. Ihre Körper schimmerten vom langsam trocknenden Blut, und sie hinterließen blutige Fußabdrücke.
Riis holte tief Luft und trat in das Opernhaus. Er sah sich um, weil er nicht genau wusste, was sich ihm darbieten würde. Es gab keine Leichen. Stattdessen schienen sämtliche Flächen, die Wände, der Boden, selbst die hohe Decke der runden Halle, mit Blut bedeckt zu sein. Der Gestank des Blutes hing schwer in der Luft. Riis atmete durch den Mund und hatte das Gefühl, dass seine Lunge sich mit Blut füllte, was ihn leicht in Panik versetzte. Als sich seine Augen an das Licht der Fackeln gewöhnt hatten und er das Gemetzel betrachtete, erkannte er allmählich Teile von Körpern. Fetzen von Hirn und Fleisch, Knochenstücke und hier und da auch größere Körperteile, die überall in der Halle verstreut lagen. An einer Wand glitt eine halbe Hand langsam im klebrigen Blut zu Boden. Sie blieb hängen und rutschte dann weiter hinab. Riis starrte sie fasziniert an.
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