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Der Moloch: Roman (German Edition)

Der Moloch: Roman (German Edition)

Titel: Der Moloch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gemmell
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die eine Seite des Schachts und den Rücken gegen die andere und ruhte ihre zitternden Arme aus. Ihre Augen brannten vor Müdigkeit, und ständig musste sie das Blut wegblinzeln, das ihr von der Wunde auf der Stirn hineinlief. Sie konnte entweder weiter hochklettern oder aber einen der Nebengänge nehmen. Keine der drei Möglichkeiten schien einfacher zu sein als die anderen. Durch alle drei Gänge floss Wasser. Zögernd reinigte sie die schmutzigen Finger einer Hand unter dem Strom und leckte dann daran. Regenwasser. Sie wölbte die Hand und trank.
    Schließlich entschied sie sich für den Tunnel rechts von ihr, weil sie das Wasser daraus getrunken hatte und das Gefühl hatte, sie schuldete diesem Gang ihr Vertrauen. Der Grund war so gut wie jeder andere auch.
    Der Schacht wurde sehr schnell immer schmaler, und sie kam immer mühsamer voran. Der Strom aus Regenwasser wurde immer stärker, bis sie den Kopf zur Seite drehen musste, um nicht zu ertrinken. Ihre Arme und Beine protestierten vor Erschöpfung, während sie immer weiter hinaufkroch. Mach weiter, sagte sie sich, mach weiter! Du musst schon fast ganz oben sein. Das Licht wurde immer heller.
    Dann erlosch es.
    Sie erstarrte, und einen Moment lang schien ihr Gehirn sich auszuschalten. Sie wimmerte, Tränen liefen ihr über das Gesicht und wurden von dem Regenwasser weggespült. Mit Armen und Beinen stützte sie sich hektisch an den Wänden des Schachts ab und kämpfte sich etwas weiter hinauf, ohne nachzudenken, nur getrieben von Furcht und Angst.
    Über dem ständigen Rauschen des Wassers in ihren Ohren hörte sie noch etwas, das ihr bekannt vorkam. Ein rumpelndes Geräusch. Dann flammte das Licht wieder auf, und sie blickte hoch. Sie hatte das Ende des Abflusskanals erreicht, und über ihr befand sich ein einfaches Metallgitter. Kaum breiter als ihre Schultern. Und darüber – Tageslicht. Das Geräusch kam von einem Karren, der davonrumpelte. Offenbar hatte er einen Augenblick über dem Kanalgitter angehalten und das Licht abgeschirmt.
    Sie kroch weiter hinauf und stemmte sich mit Armen und Beinen an den Wänden ab. Emly streckte sich und berührte die kalten Stangen des Gitters mit den Fingerspitzen. Sie stemmte sich dagegen. Es gab nicht nach. Sie zog sich ein Stück dichter heran und stieß erneut dagegen. Das Gitter rührte sich kein bisschen.
    Dann hörte sie ein neues Geräusch, Donner, der über die Cité rollte. Eisregen prasselte herunter und sprühte durch das Gitter in Emlys erhobenes Gesicht. Sie spuckte und hustete und senkte den Kopf, aber sie konnte kaum atmen.
    Sie schob die Finger zwischen die dicken Stangen des Gitters und winkte heftig damit. » Hilfe!«, schrie sie und dachte nicht mehr daran, dass sie gefangen genommen werden könnte. » Helft mir!«
    Plötzlich wurde das Gitter von einer unsichtbaren Macht hochgerissen, eine harte Hand packte ihr Handgelenk, und sie wurde wie ein Korken aus einer Flasche aus dem Abflussrohr gezogen. Dann stellte man sie auf die Füße. Sie blinzelte im Licht und hustete Wasser aus.
    » Was machst du denn da unten, Junge?«, fragte ihr Retter freundlich. Es war ein stämmiger Mann mit einem Vollbart, der ein bisschen schäbig aussah, aber er war nicht wie ein Soldat gekleidet. Da das nasse Haar ihr am Kopf klebte, hielt er sie in dem Dämmerlicht offenbar für einen Jungen.
    » Hab mich versteckt, Herr. Hab mich vor meinem Meister versteckt!«, platzte sie heraus und senkte den Kopf.
    » Da unten? Da hättest du ersaufen können, du idiotischer Junge! Wer ist dein Meister?«
    Emly dachte hastig nach. » Hufschmied«, murmelte sie und hoffte, dass die Antwort angemessen war.
    Offenbar hatte sie das Richtige gesagt, denn der Mann grunzte. » Der Alte Oren. Ist ein echter Mistkerl.« Dann fuhr er freundlich fort. » Lauf nur. Du kannst ihm eh nicht entkommen. Niemand kann mehr den Palast verlassen, Junge. Alle Tore sind geschlossen.«
    Emly nickte dankbar, drehte sich um und rannte in die nächste dunkle Ecke. Ihre Zuversicht wuchs. Sie war im Palast!

38
    Bartellus’ ungeschickte Finger waren so kalt, dass er nicht einmal mehr die Nadel fühlte, mit der er im Holz herumstocherte. Er hörte von Zeit zu Zeit auf und legte die Finger an die Lippen, um sich davon zu überzeugen, dass die Nadel noch da war. Die Metallspitze schmeckte nach altem, totem Fleisch, und Bartellus fragte sich erneut, wie viele Leben wohl in dieser Zelle zu Ende gegangen sein mochten.
    Nach einer langen Zeit war das Loch am Fuß der

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