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Der Moloch: Roman (German Edition)

Der Moloch: Roman (German Edition)

Titel: Der Moloch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gemmell
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wenn, würde es keinen kümmern. Dann beruhigte er sich wieder und überlegte, ob dieser Anstieg des Wassers möglicherweise täglich geschah. Vielleicht wurden diese Verliese immer geflutet, sobald die Abwässer der Cité stiegen, in einem Rhythmus, der möglicherweise von irgendwelchen natürlichen Gezeiten vorgegeben wurde. Und vielleicht würden sie schon bald wieder abebben. War er schon länger als einen Tag hier? Er hatte keine Ahnung. Oder aber die Kerker wurden von Zeit zu Zeit geflutet, um sie zu reinigen. In diesem Fall würde die Flut schon sehr bald versiegen.
    Mittlerweile war ihm das Wasser bis zur Hüfte gestiegen, und er versuchte, seine Furcht zu unterdrücken und an die Zeit zu denken, in der er frei war. Er versuchte, sich an die Namen der Generäle der beiden Armeen zu erinnern, die er anführen sollte. Den Anführer der Adamantine kannte er schon sein halbes Leben lang. Es war ein kleiner Mann, stämmig, mit einem Kinnbart. Sein Name war … Bartellus kannte ihn ebenso gut, wie er jeden anderen Mann kannte. Sie hatten zusammen gekämpft, getrunken und herumgehurt und seit über dreißig Jahren gemeinsam dem Glücksspiel gefrönt. Der Mann hatte eine Frau, die er verachtete, und drei Töchter, die er vergötterte. Früher einmal hatte er einen dreibeinigen Hund namens Joker besessen. Aber Bartellus konnte sich einfach nicht an den Namen des Mannes erinnern. Der andere General, der von der Vierten Imperialen lautete … Ja, Constant Kerr, ein Mann, den er kaum kannte, ein entfernter Verwandter von Flavius. Jemand, den der Kaiser Freund nannte, jemand aus einer neuen Generation. Dieser kleine Erfolg seines Gedächtnisses ermutigte Bartellus.
    Doch dann schweiften seine Gedanken ab, und er begann unausweichlich über Emly nachzudenken, fürchtete, dass sie gefangen worden war, fürchtete um ihr Schicksal. Das Wasser stieg bis zu seiner Brust, ohne dass er es merkte, und er schrak zusammen, als es ihm in den Kragen lief und den Nacken hinunterrann. Er richtete sich gerade auf, so gerade, wie ein alter Soldat eben stehen konnte. Er hatte schon ein Dutzend Mal mit dem Gedanken gespielt, sich einfach fallen zu lassen, zu ertrinken, sich einfach zu entspannen, sich zurückzulehnen und das Wasser in Mund, Nase und Lunge fließen zu lassen. Es wäre ein schneller Tod und zudem ein ziemlich schmerzloser. Vermutete er jedenfalls.
    Aber seine alte hartnäckige Sturheit, die Entschlossenheit, die ihn zusammen mit Mut und Glück durch die Ränge des Militärs bis an die Spitze einer Armee getrieben hatte, hielt ihn davon ab. Er hielt den Kopf hoch und atmete flach in der stickigen Luft und hielt durch.
    Vor fast einem Jahrtausend war der Name eines Mannes, eines gemeinen Mannes, zudem eines Fremden und Sohn eines Bauern, jedem Kind ebenso vertraut wie der Name des Kaisers. Lazarides der Lapith, bei diesem Namen kicherten die Kinder, falls sie sich an ihn erinnerten. Selbst wenn sie nicht einmal wussten, was er war. Er war ein Ingenieur. Aber alle wussten, dass er der wichtigste Mann in der Cité war, abgesehen vom Unsterblichen.
    In jenen Tagen, als die Cité noch jünger und weniger ehrgeizig war und folglich auch weniger Feinde hatte, hatte der Kaiser sich darauf konzentriert, das Herz der Cité zu stärken. Er ordnete an, dass ein neues Netz aus Rohren und Tunneln für Abwässer und Regenwasser auf den Trümmern des alten Systems erbaut werden sollten. Dieses alte System war vor mehr als sechshundert Jahren erbaut worden. Er befahl Ingenieuren, Architekten und gewöhnlichen Baumeistern, von innerhalb der Mauern und von außerhalb, sich um die bedeutende Position des Ingenieurs der Cité zu bewerben. Der vorherige Inhaber dieser Position war wegen irgendeiner eingebildeten oder tatsächlichen Verfehlung gegen den Unsterblichen gehenkt, aufs Rad geflochten und dann gevierteilt worden. Dennoch erhob sich ein scharfer Wettbewerb um den Stuhl dieses glücklosen Mannes.
    Lazarides der Lapith war ein Genie. Er tauchte eines Tages wie aus dem Nichts am Hofe des Kaisers im Roten Palast auf. Er war noch jung, nicht einmal dreißig, und kein Architekt oder Ingenieur in der Cité hätte behaupten können, seinen Namen schon einmal gehört zu haben. Aber er wusste alles über den Aufbau der Cité, und neben seinen detaillierten Plänen für das neue Kanalsystem sahen die Zeichnungen der anderen Bewerber wie chaotische Kritzeleien von Kindern aus.
    Zudem waren sie wunderschön. Sie waren mit verschiedenfarbigen Tinten auf

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