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Der Moloch: Roman (German Edition)

Der Moloch: Roman (German Edition)

Titel: Der Moloch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gemmell
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unheimlichen Schreien und wussten, dass ein Sturm aufzog. Und das, obwohl der Horizont noch klar war und die Sonne immer noch heiß vom Himmel brannte. Die Vögel flogen weiter nach Osten, und Männer und Frauen im Landesinneren verfolgten sie unbehaglich mit ihren Blicken. So weit östlich sah man nur selten Seevögel, und die Menschen beteten hastig zu ihren Göttern, vor allem zu den Göttern von Sonne und Regen, dem Gott des Ostwindes und dem grausamen Gott des Nordwindes, die beide als Cernunnos bekannt waren.
    Die weißen Vögel zogen über die hohen Türme des Roten Palastes des Kaisers. Sie flogen über die mit Schiefer und Ziegeln gedeckten Dächer der Reichen und Mächtigen, über die Teerpappenhütten der Armen, ohne sich um die einen oder anderen zu kümmern. Sie blickten auf die großen westlichen Mauern der Cité, aber die einzigen Gedanken, die in ihren kleinen, schlanken Köpfen kreisten, galten dem Bemühen, einen sicheren Zufluchtsort zu finden.
    Das Schlachtfeld von Salaba war mehr als einhundert Wegstunden von der Küste entfernt. Die Möwen machten dort eine Pause und kreisten über dem Schauplatz des Gemetzels. Die Gedanken an Sicherheit wichen den Gedanken an Nahrung. Unter ihnen durchquerte das breite, schlammige braune Band des Kercheval eine flache Ebene, auf der sich einst Getreidefelder und Pferdeweiden befunden hatten. Auf der Westseite hatten sich die Armeen eingegraben, etwa sechs Wegstunden voneinander entfernt. Für eine Möwe waren sie nicht voneinander zu unterscheiden.
    Hätten die Vögel dieselbe Stelle ein Jahr früher überflogen, hätte sie fast derselbe Anblick begrüßt. Allerdings hatten sich die Armeen damals sechs Wegstunden weiter nördlich gegenübergelegen. Und sollten sie ein Jahr später darüber wegfliegen, würden sie eine leere, von Menschen verlassene Ebene vorfinden, auf der erstes Grün die blutgetränkte Erde färbte und auf die allmählich die wilden Tiere zurückkehrten, nachdem die wüsten Krieger verschwunden waren.
    Indaro lag auf dem Rücken im Sonnenschein und starrte in den Himmel. Den Kopf hatte sie auf ihr zusammengefaltetes rotes Wams gelegt. Sie genoss den Anblick der Möwen. Da sie fast ihr ganzes Leben lang an der Küste gelebt hatte, wusste sie, dass die Vögel vor einem Sturm flohen. Und schlechtes Wetter war trotz der durchnässten Kleidung und der feuchten Zelte immer noch besser als diese vier Tage Tatenlosigkeit, die sie unter der gnadenlosen Sonne hatten ertragen müssen. Ihr war heiß, sie war schrecklich gelangweilt, und selbst sintflutartige Regenfälle wären als Abwechslung willkommen.
    » Ein Sturm zieht auf«, sagte jemand hinter ihr.
    Doon schnaubte verächtlich und starrte nachdrücklich in den blauen Himmel. Der blonde Garret, der irgendwie immer in Indaros Blickfeld herumzulungern schien, widersprach. » Es steht nicht ein einziges Wölkchen am Himmel.« Da Broglanh jetzt nicht mehr bei ihnen war, schien Indaro Garret als ständigen Begleiter geerbt zu haben; eine unwillkommene Hinterlassenschaft.
    Der erste Sprecher erklärte es ihnen. Indaro identifizierte ihn an der Stimme als den Nordländer mit dem steingrauen Haar, Malachi. » Seevögel fliegen landeinwärts. Wenn sie so weit über Land fliegen, wird es ein Erderschütterer sein.«
    » Was ist ein Erderschütterer?«, erkundigte sich Garret.
    Auf diese Frage wollte Indaro ebenfalls die Antwort wissen, obwohl sie sie niemals selbst gestellt hätte. Sie begegnete Leuten wie Garret mit einer Haltung, hin- und hergerissen zwischen Bewunderung, weil sie sich nichts daraus machten, ihre Unwissenheit zuzugeben, und Verachtung eben deshalb.
    » In unseren Wäldern in den Nordlanden bezeichnet das einen Baumriesen, der, wenn er gefällt wird, so viel Krach macht, dass man ihn auf der ganzen Welt hören kann.«
    Doon war offenbar von seinen Worten überzeugt, stand auf und begann, Indaros Habseligkeiten in Segeltuchsäcke zu packen. Rüstungen und Waffen deckte sie mit Planen ab. Indaro war klar, dass die Frau froh war, etwas zu tun zu haben. Für sie spielte es keine Rolle, ob Malachis Vorhersage zutraf oder nicht. Vier unendliche Tage lang hatten sie an dieser Stelle festgesessen. Die feindliche Armee hatte sich ebenfalls nicht von der Stelle bewegt. Sie konnte sie nicht sehen, aber sie wusste, dass es so war. Wenn zwanzigtausend Krieger sich rüsteten und ihre Waffen vorbereiten, konnten sie das nicht leise tun. Selbst aus sechs Wegstunden Entfernung konnte man die Geräusche

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