Der Mond im See
Ich möchte wissen, was Sie eigentlich den ganzen Tag tun.«
Jeannot bedachte sie mit einem giftigen Blick und schwieg.
Natürlich sprachen wir zunächst über die Vorfälle des gestrigen Tages. Ich war versucht, ihr zu erzählen, was ich von Ilona erfahren hatte. Aber dann ließ ich es bleiben. Ich wollte Ilona nicht vorgreifen. Sie sollte ihre Version von der Sache geben, das würde für sie am leichtesten sein.
Es stellte sich heraus, daß Annabelle von Bondy kaum Notiz genommen hatte. »Ich kümmere mich nicht um die Gäste«, sagte sie. »Kann sein, daß ich ihn mal gesehen habe, aber er ist mir nicht aufgefallen.«
»Aber du doch sicher ihm. Jonny erzählte mir, daß er auf der Suche nach weiblichem Anschluß war. Und da wird er dich kaum übersehen haben.«
»Er würde es kaum gewagt haben, sich mir zu nähern«, meinte sie hochmütig.
»Er soll mit der Pflegerin geflirtet haben, die René betreut.«
»So! Na, das dürfte ihm nicht schwergefallen sein. Sie macht allen Männern schöne Augen. Renate hat das auch schon bemerkt. Übrigens geht es René nicht gut.«
»Wieso?«
»Ich weiß auch nicht. Er hatte gestern abend etwas Fieber, sagte mir Renate. Und einen verdorbenen Magen.«
Bojar benahm sich heute verhältnismäßig anständig, er hatte Spaß an dem Spaziergang, schnaubte vergnügt und griff weit aus. Ich hatte keine Mühe ihn zu halten. Und nach und nach vertrieb die Freude an dem Ritt alle trübseligen Gedanken. Wir kamen wieder zu der Wiese, die gestern Annabelle verhängnisvoll geworden war. Heute hielten wir uns manierlich am Wiesenrand, galoppierten zügig den ganzen Bogen aus und hielten drüben am Wald.
»Du kommst gut mit ihm zurecht«, meinte Annabelle anerkennend, »freut mich, daß du nicht alles verlernt hast.«
»Er ist sehr gehorsam, und du wirst sehen, wenn er täglich geht, ist er das bravste Pferd, das man sich vorstellen kann.« Ich beugte mich aus dem Sattel zu ihr hinüber. »Küß mich!«
Sie kam mit ihrem Gesicht ein wenig näher und fragte: »Warum?«
»Weil ich dich liebe. Ist das kein Grund?«
»Vielleicht.« Sie spitzte die Lippen und küßte die Luft zwischen uns.
»Das genügt mir nicht.«
»Es wird dir genügen müssen.«
»Dann sage wenigstens, ob du mich liebst.«
»Das weiß ich nicht.«
Ich seufzte. »Mußt du erst vom Pferd fallen, damit du umgänglich wirst?«
Sie lachte und ritt weiter.
Ich küßte sie eine Stunde später, als wir wieder im Stall angelangt waren. Kein Mensch war da, auch Jeannot nicht, die Boxen nicht ausgemistet.
»Dieser verdammte Kerl«, schimpfte Annabelle. »Ich werfe ihn hinaus. Noch heute.«
»Kümmere dich doch mal um euren richtigen Pfleger«, schlug ich vor. »Vielleicht geht es ihm schon besser.«
Ich sattelte die Pferde ab, rieb sie trocken und band sie erst mal im Hof an.
»Was hast du vor?« fragte Annabelle.
»Ich werde ausmisten. Jedenfalls die Boxen dieser beiden hier. Ist ja nicht mit anzusehen.«
Annabelle folgte mir in den Stall. Und hier hatte ich endlich Gelegenheit, sie in den Arm zu nehmen. Sie widerstrebte nicht, schloß die Augen und ließ sich küssen.
»Du könntest dich nicht entschließen, mit mir nach Indien zu kommen?« fragte ich.
»Nein. Was sollte ich in Indien?«
»Wenn mein Urlaub zu Ende ist, muß ich wieder hin. Zwei Jahre bin ich noch dort.«
»Aha. Und was geht mich das an?«
»Ich möchte dich mitnehmen.«
Sie lächelte sanft und strich mir das Haar aus der Stirn.
»Nein, mein Lieber, das schlag dir aus dem Kopf. Ich bin keine Frau für ein Pionierleben.«
Das wußte ich ohnedies. Aber ich versuchte es noch mal.
»Es ist ganz bequem dort. Du bekämst einen hübschen Bungalow, Bedienung ist genügend da. Und ich schließlich auch.«
»Trotzdem, das ist nichts für mich. Das weißt du doch.«
Ja, ich wußte es. So sehr würde sie mich nie lieben, daß sie meinetwegen das Leben aufgab, das zu ihr paßte.
»Und bis ich wiederkomme in zwei Jahren, hast du längst wieder geheiratet. Du wartest ja doch nicht auf mich.«
Sie lächelte und schwieg.
»Du hast damals auch nicht gewartet.« Ich schaute in ihr schönes, lächelndes Gesicht, mir so nah und doch immer wieder unerreichbar.
»Ich könnte doch versuchen, aus dem Vertrag mit meiner Firma herauszukommen. Vielleicht finde ich hier in der Schweiz eine gute Position.«
»Versuch es.«
»Dann würdest du mich heiraten?«
Sie löste sich aus meinen Armen und blickte mich ernst an. »Du möchtest mich wirklich
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