Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
heruntergekommen wirkende Mangow hielt seinerseits nicht inne. Er ließ sein eher zierliches Geschütz fallen und ergriff ein wahres Monster von Armbrust, das geladen neben der Tür stand. Konstantin kannte solche Modelle aus diesbezüglichen Lehrgängen während seiner Ausbildung. Sie konnten bis zu vierhundert Kilogramm Zugkraft haben und die abgeschossenen Bolzen neigten dazu, sich im Flug zu drehen, sodass sie bei ungepanzerten Zielen schreckliche Wunden rissen. Einen Augenblick war Konstantin erleichtert, dass der ausgerastete Mann damit nicht weiter auf ihn losging doch dann wurde ihm klar: Ach du scheiße! Der rennt genau auf die Jungs und Mädels zu!
Nie zuvor oder danach in seinem Leben war Konstantin so rasch aus einer halb liegenden, halb sitzenden Position in eine stehende, beziehungsweise rennende gekommen. Ob er als Finder im Dienst war, spielte keine Rolle mehr. Diese halben Kinder da vorne waren plötzlich in akuter Lebensgefahr, er musste handeln! Sofort!
„Geht aus dem Weg!“, rief er, doch er bemerkte gleich, dass die jungen Leute dieser Anweisung nicht rechtzeitig folgeleisten würden. Sie hatten zumindest leicht bis mittelschwer berauschende Mittel zu sich genommen, eben das, was man auf H´Veredy anstelle von Alkohol konsumierte. Ihre Reaktions- und Entscheidungsfähigkeit war eingeschränkt. Einer der Jungen trat dem Flüchtenden sogar in den Weg.
Zangow kam wenige Schritte vor dem Teenager zum Stehen. Er hob die Armbrust, zielte auf den Bauch und sein Finger krümmte sich um den Abzug.
Konstantin wurde erst bewusst, dass er aus vollem Lauf heraus zu einem Hechtsprung angesetzt hatte, als er auf den Schützen traf. Im selben Augenblick fühlte er den Rückstoß der schweren Waffe durch den Körper des Alten zucken und vernahm einen Aufschrei. Nein! Das darf nicht sein! Ich war zu spät.
Die Musik des Konzertes erreichte ihre volle Klangfülle und Lautstärke, als das Solo recht abrupt endete und das Orchester wieder gemeinsam in die Saiten griff.
Konstantin schätzte sich glücklich, dass er mit seiner Befürchtung falschgelegen hatte. In Wahrheit hatte der mächtige Bolzen sein Ziel wegen des Stoßes verfehlt und war vor den Füßen des Jungen in den Boden gefahren.
Der ungewaschene, verwirrte Alte wehrte sich noch lange und verbissen gegen Konstantins Zugriff. Erst die Hilfe der eintreffenden Verstärkung machte es ihm möglich, von dem Festgenommenen abzulassen. Bis es so weit war, war nicht nur Konstantins Kleidung gründlich derangiert, sondern er hatte auch schmerzhafte Knuffe und Stöße mit dem Griff der Armbrust abbekommen und war auf der Straße ausgerechnet durch einen Fleck gerollt, der nach Erbrochenem roch und vermutlich auch daraus bestand.
Konstantin war an diesem Tag nicht besonders zufrieden mit seiner Leistung und der Welt im Allgemeinen. Gewiss, seinen Fall hatte er aufgeklärt. Man hatte vor ein paar Jahren die selbstgeschnitzten Lieblingsmöbel des Mannes zwangsversteigert, ohne zu erkennen, dass dessen wirtschaftlichen Probleme mit einer einsetzenden Demenz zu tun hatten. Der verwirrte, einsame Herr hatte sich, mehr und mehr in die Wahnvorstellung hineingesteigert, man habe ihm diese Möbel gestohlen oder durch eine Verschwörung enteignet. Daraufhin begann er mit großem Fanatismus, aber nicht ohne ein gewisses Talent für das Einbruchshandwerk, sein vermeintliches Eigentum zurückzustehlen.
Für so einen Fall gibt es keine elegante Lösung mehr. Der Kerl ist verwirrt und gemeingefährlich. Man wird keine Wahl haben, als ihn erst mal wegzusperren. Mir tut er jetzt einfach nur noch leid. Und ich hatte fast den Tod von diesem Jungen zu verantworten! Wenn mir nur wenigstens sein Name einfiele. Es ist nicht richtig, sich nicht daran zu erinnern, wo der Junge doch durch meine Schuld beinahe umgekommen wäre, dachte Konstantin niedergeschlagen.
Noch vor Ende des Konzerts kehrte er heim und fand sein eigenes Hoftor von innen verriegelt vor. Seine schlechte Laune besserte sich dadurch nicht gerade. Ganze zehn Minuten musste er klopfen und rufen bis Vaíl endlich angelaufen kam, um ihn einzulassen.
„Entschuldige, ich muss versehentlich den Riegel vorgeschoben haben … und … ähm … war auf der Toilette“, entschuldigte sie sich, als sie sah wie ungehalten und mitgenommen ihr Partner war. „Du siehst fürchterlich aus! Komm, ich glaube ich werde dir besser unseren Badezuber füllen. Vielleicht leiste ich dir da drin später noch Gesellschaft, wenn du
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