Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
entwickeln werden, sonst steht man in einer Sackgasse nach der anderen. Auch die Orientierung erfordert dort sehr viel Erfahrung. Kennt man sich aber aus, ist diese Schicht nicht schlecht für Waldläufer. Bei ebenem Untergrund spart man sich zum Beispiel jede Kletterei. Über den Lichthöhlen kommt eine dichte Wurzelschicht. Der Fels ist am Boden oft so knochentrocken, dass die Pflanzen dort unten ihre Wurzeln dem Regen entgegenstrecken müssen. Die Wurzelenden sind dann becherförmig nach oben geöffnet. Dazwischen ragen natürlich auch die großen Tragstämme der Baumriesen auf, die die höchsten Wipfel des Waldes stellen. Oftmals ist diese Wurzelschicht viele, viele Schritt dick und darauf liegt eine Menge Humus, Blätter, Totholz und so weiter. Mindestens genauso oft sind sich die Wurzeln der Bäume, die von oben herabwachsen und die von unten heraufwachsen aber so spinnefeind, dass sie eine ausgedehnte Höhle freilassen [42] . Darin ist es immer feucht. Weder von oben noch von unten dingt je ein Lichtschein ein. Dort gedeihen allerlei Pilze hervorragend und in allen erdenklichen Größen. Auch wenn es natürlich auch weiter oben und weiter unten immer einige Pilze gibt, spricht man hierbei von den ´Pilzhöhlen´. Manchmal werden sie auch ´Wurzelhöhlen´ genannt. Nach oben hin gibt es dann wieder eine mehr oder weniger mächtige Wurzelschicht. Du hast mir ja erzählt, dass du dich durch solche Wurzeln hindurchgewühlt hast und ich brauche dir nicht zu erzählen, dass das selten eine gute Idee ist. Will man zwischen den Ebenen wechseln, sucht man sich natürliche Durchgänge. Steht der Wald auf nicht leuchtendem Gestein, ist der Untergrund meist feuchter und es gibt nur eine Wurzelschicht und weder eine ´untere Lichtwelt´, noch echte Pilzhöhlen.“
Verena konnte sich all diese Dinge sehr lebhaft vorstellen. Durch Barwarins Worte füllte sich das Zwielicht des Dschungels zunehmend mit Bedeutungen. Vor ihrem inneren Auge konnte Verena sehen, wie der Nieselregen, der auf sie herabtröpfelte seinen Weg hinab in modrige Tiefen suchte. Barwarin spürte offenbar, dass sie einen Augenblick brauchte um den Wald und das Leben darin mit allen Sinnen zu erleben. Er wartete jedenfalls ab, und erst als Verena aufsah, weil ein morscher Ast neben ihr durch ein Gebüsch stürzte, setzte er seine Erklärungen fort: „Als du dich von unten durch diese Schichten hindurchgearbeitet hast, bist du oberhalb davon auf ein undurchdringliches Gewirr aus weiteren Wurzeln und großen Ästen gestoßen. Vielfach kann sich hier aber eine gut begehbare, recht feste und im Idealfall ebene Schicht aus Humus bilden, auf der man hervorragend laufen kann. Natürlich sollte man erkennen, wann dieser Untergrund trügerisch sicher ist. Ist er tatsächlich fest, können sich darauf auch große Raubtiere gut bewegen. Es gibt also auch hier spezielle Gefahren, die man kennen muss.
Über diesem ´Oberen Boden´, der wenig Licht abbekommt und daher nur wenig frisches Grün kennt, erheben sich auf jeden Fall die senkrechten Stämme der Pfeilerbäume. Besteht der Untergrund nicht aus Leuchtsteinen, ist dieser Obere Boden die unterste Schicht des Waldes.
Viele Hölzer wollen lieber nicht aus eigener Kraft so hoch hinaus wie die Pfeilerbäume. Deswegen verankern sie ihre Stämme seitlich an mindestens einem, fast immer aber mehreren Pfeilerbäumen.“ Verena nickte und deutete auf einige passende Beispiele in ihrer Nähe. Barwarin fuhr selenruhig fort: „Ihre senkrechten Stämme und Äste haben es dann nichtmehr weit bis zum Licht. Dominieren Bäume mit Schalenwurzeln diesen Bereich, bekommt man typischen Egelwald, weil die zahllosen sumpfigen Teiche diesen Tieren gefallen. Echter Egelwald liegt fast ausschließlich an sanft ansteigenden Berghängen. Wir bewegen uns jetzt lang genug in diesen Schichten, dass ich dir nichts Grundlegendes mehr dazu erklären muss. Fast immer gibt es genügend waagerechte Stämme, damit man sich recht unkompliziert fortbewegen kann. Von oben bekommt man Licht und es gibt genug Tiere und grüne Pflanzenteile, dass man sich kaum um Nahrung Gedanken machen muss – jedenfalls, wenn man bescheid weiß. Die Baumkronen über uns sind dann schon wieder ein eigener Bereich für sich. Eine Fortbewegung dort oben ist wegen der wenigen tragfähigen Querverbindungen zwischen den Bäumen für Menschen vergleichsweise schwierig, jedenfalls über längere Strecken. Doch für kundige Waldläufer gibt es da wichtige Ausnahmen, und einige
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