Der Mondscheingarten
bereits fort war. Allerdings hatte sie den Raum nicht verlassen, ohne vorher aufzuräumen. Rose lächelte kurz in sich hinein, das Mädchen schien ihr wirklich keinen Ärger mehr machen zu wollen.
Mit zitternden Händen ergriff sie den Geigenkasten. Ein wenig eifersüchtig war sie schon, dass Pauls Interesse der Geige galt. Doch letztlich gehörten sie und die Geige ja zusammen …
Rose kam sich ein wenig wie eine Diebin vor, als sie, nachdem sie sich umgesehen hatte, in den Gang schlüpfte.
Paul wartete dort auf sie, lässig an die Wand gelehnt. Glücklicherweise hatte niemand ihr Versteck gefunden, und ihr Fehlen schien offenbar auch noch nicht aufgefallen zu sein.
Rose stellte den Geigenkasten auf einem kleinen Tisch ab, der von einer Blumenvase geschmückt wurde. Vor dem Hintergrund der Geräusche aus dem Festsaal öffnete sie den Deckel und nahm die Geige vorsichtig heraus.
»Ihre Geige ist wirklich wunderbar«, sagte Paul, nachdem er sie ehrfürchtig betrachtet hatte. »Woher haben Sie sie? Sie ist sicher schon sehr alt.«
Rose blickte versonnen auf das Instrument, dann berührte sie mit den Fingerspitzen fast schon zärtlich den Corpus.
»Mein Vater hat sie mir geschenkt. Er hat sie einem chinesischen Händler abgekauft.«
»Einem chinesischen Händler?«
»Ja, erstaunlich, nicht wahr? Ich habe in London mal eine Stradivari gesehen, die dieser Geige ein wenig geähnelt hat. Ganz sicher ist sie nicht in China hergestellt worden. Und die Rose …«
»… ist wirklich ungewöhnlich für solch ein Instrument.« In dem Augenblick, als Rose die Geige herumdrehen wollte, bewegte sich Pauls Hand vor und streifte leicht ihre Finger.
Augenblicklich hielt Rose in ihrer Bewegung inne und sah auf. Die Art, wie Paul sie musterte, beunruhigte sie ein wenig, doch zugleich erweckte sie ein bisher unbekanntes Gefühl in ihrer Brust.
»Ich … sollte jetzt wohl besser gehen«, sagte sie und legte die Geige wieder in ihren Koffer zurück.
Auf einmal kam sie sich albern vor und gleichzeitig zutiefst unanständig. Paul hatte ein Heiratsversprechen abgegeben. Sie konnte doch nicht …
»Warten Sie …«
Pauls Hand umschloss warm ihr Handgelenk.
Rose blickte ihn verwirrt an. Das, was sie bei ihren Berührungen fühlte, dieses sehnende Brennen in ihrer Brust, hatte sie bisher nur dann gespürt, wenn sie sich der Musik vollkommen hingab.
»Bitte lassen Sie mich los«, sagte sie sanft, wenngleich sich alles in ihr wünschte, mehr von ihm zu spüren als nur seine Hand.
»Ich möchte Sie wiedersehen, Rose«, sagte er beinahe flehentlich. »Begleiten Sie mich bitte zur Plantage. So hätten wir wenigstens ein paar Stunden für uns.«
»Aber Ihre Verlobte …«
Für einen Moment wirkte Paul erschrocken. Dann entgegnete er: »Maggie hat panische Angst vor der Natur, sie würde mich nie begleiten. Aber Sie sind furchtlos, und ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als einen Nachmittag mit Ihnen zu verbringen. Bitte.« Der Druck seiner Hand wurde fester. Und auch Roses Verwirrung wuchs.
»Ich kann nicht«, entgegnete sie, doch sie hörte, wie schwach ihre Stimme klang und wie laut ihre Seele danach verlangte, mit ihm allein zu sein. Es ist nur ein Nachmittag, sagte sie sich. Was kann schon passieren? Ich begleite ihn, sehe mir die Plantage an, und dann kehren wir wieder zurück. In ein paar Tagen werde ich nach Indien aufbrechen, danach verlieren wir uns ohnehin aus den Augen.
Doch da war auch Mrs Faraday, die ihr Benimmregeln eingebläut und sie stets dazu angehalten hatte, sich nicht mit irgendwelchen Bewunderern einzulassen. Außerdem würde man es hier sicher nicht gutheißen, wenn sie sich in ein Abenteuer stürzte. Ihr Verhalten färbte auf den Ruf des Gouverneurs ab, der sie so großherzig förderte.
Aber es ist doch nur eine Reise, ein Ausflug in den Dschungel, redete ihr Herz auf sie ein. Es werden sicher noch andere Leute zugegen sein. Und vielleicht kannst du mit deiner Ortskenntnis den anderen eine Hilfe sein.
»Bitte, Rose«, flehte Havenden jetzt fast. »Ich verspreche Ihnen, Sie werden es nicht bereuen. Und wer sonst könnte mich durch die Wildnis Ihrer Heimat leiten?«
»Es gibt sicher geeignete Führer, die Ihnen gern ihre Dienste anbieten.«
»Da haben Sie recht, aber mein Malaiisch ist nicht besonders gut.«
»Die Führer sprechen auch sehr gut Niederländisch und Englisch.«
Paul barg ihre Finger nun zwischen seinen warmen Handflächen. »Rose. Bitte gewähren Sie mir meinen Wunsch. Sie haben
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