Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist
aufmachen, zerrissen. Was ist passiert? , fragte ich mich. Haben sie wieder zugeschlagen? Die Nacht brach herein; vielleicht hatte ein weiteres nächtliches Unwesen seinen Anfang genommen – oder vielleicht war die Nachricht vom Ableben der Stinnets durchgesickert und eine Gruppe von Warthrops Mitbürgern war mit heißem Teer und Federn zu Besuch gekommen.
Er ist, was er jagt , hatte Malachi gesagt. Ich glaubte das nicht, aber ich begriff, wie Malachi ihn so beurteilen konnte – und der Rest der Stadt, sobald der erst einmal vom Angriff der Anthropophagen erfuhr.
Ich hielt den Doktor nicht für ein Monster, das Monster jagte, aber ich stand im Begriff, einen Mann kennenzulernen, der dies tat – und war.
ZEHN
»Der beste Mann für den Job«
Er war recht groß, deutlich über sechs Fuß, der Mann, der vor der Tür des Doktors stand, athletisch von Statur und gut aussehend auf eine jungenhafte Weise, mit ziemlich feinen Gesichtszügen und modisch langen, flachsblonden Haaren. Seine Augen hatten einen merkwürdigen Grauton; im funkelnden Lampenlicht wirkten sie fast schwarz, doch später, als ich sie bei Tageslicht sah, nahmen sie einen weicheren Ton an, das Aschgrau von Holzkohlenstaub oder die Farbe eines gepanzerten Kriegsschiffs. Er trug einen Reiseumhang und Handschuhe, Reitstiefel und auf dem Kopf in keckem Winkel einen Homburg. Sein Schnurrbart war klein und sauber gestutzt, golden wie die Mähne seiner Haare und so durchsichtig, dass er seine vollen und sinnlichen Lippen zu umschweben schien.
»Tja!«, sagte er mit einem Unterton von Überraschung. »Guten Abend, junger Mann.« Er sprach mit kultiviertem britischem Akzent, eine Stimme wie das Schnurren eines Löwen, melodisch und angenehm.
»Guten Abend, Sir«, erwiderte ich.
»Ich bin auf der Suche nach dem Haus eines lieben Freundes von mir und fürchte, dass mein Kutscher sich verfahren haben könnte. Pellinore Warthrop ist sein Name.« Mit einem Funkeln im Auge ergänzte er: »Der Name meines Freundes, nicht der des Kutschers.«
»Dies ist Dr. Warthrops Haus«, erklärte ich.
»Ach, dann heißt es jetzt also ›Doktor‹ Warthrop, richtig?« Er kicherte leise. »Und wer magst du sein?«
»Ich bin sein Assistent – Lehrling «, korrigierte ich mich.
»Ein Assistentenlehrling! Schön für ihn. Und für dich, da bin ich mir sicher. Sag mir, Herr Assistentenlehrling –«
»Will, Sir. Ich heiße Will Henry.«
»Henry! Der Name kommt mir jetzt aber bekannt vor.«
»Mein Vater hat dem Doktor viele Jahre lang gedient.«
»War sein Vorname Benjamin?«
»Nein, Sir. Er hieß –«
»Patrick!«, sagte er mit einem Fingerschnippen. »Nein. Du bist viel zu jung, um sein Sohn zu sein. Oder der Sohn seines Sohnes, falls sein Sohn einen hatte.«
»Er hieß James, Sir.«
»Tatsächlich? Und du bist ganz sicher, dass es nicht Benjamin war?«
Von drinnen rief der Doktor laut: »Will Henry! Wer ist an der Tür?«
Der Mann im Umhang beugte sich vor, bis seine Augen auf einer Höhe mit meinen waren, und flüsterte: »Sag’s ihm.«
»Aber Sie haben mir Ihren Namen nicht genannt«, hob ich hervor.
»Ist das nötig, Will Henry?« Er zog ein Stück Briefpapier aus der Tasche und schlenkerte es vor meinen Augen. Ich erkannte die Handschrift natürlich sofort, denn es war meine eigene. »Ich weiß, dass Pellinore diesen Brief nicht geschrieben hat; ihn aufgesetzt, ja; ihn geschrieben, unmöglich! Die Schreibkunst des Mannes ist grauenhaft.«
»Will Henry!«, sagte hinter mir der Doktor schneidend. »Ich habe gefragt, wer –« Er erstarrte, als er den großen Engländer im Eingang sah.
»Es ist Dr. Kearns, Sir«, sagte ich.
»Mein lieber Pellinore!«, schnurrte Kearns und schob mich beiseite, um die Hand des Doktors zu ergreifen. Er drückte sie energisch. »Wie lang ist es her, alter Knabe? Istanbul?«
»Tansania«, erwiderte der Doktor verkniffen.
»Tansania! Wirklich schon so lange? Und was zum Teufel haben Sie mit Ihrer verdammten Stirn angestellt?«
»Ein Unfall«, murmelte der Monstrumologe.
»Ah, das ist gut. Ich dachte schon, Sie wären vielleicht ein verdammter Hindu geworden. Nun, Warthrop, Sie sehen schrecklich aus! Wie lange ist es her, seit Sie zum letzten Mal eine Nacht lang ordentlich geschlafen oder eine anständige Mahlzeit zu sich genommen haben? Was ist passiert? Haben Sie das Hausmädchen und den Koch rausgeschmissen, oder sind sie angewidert von selbst gegangen? Und erzählen Sie mir, wann sind Sie denn Doktor
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