Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist
stellte den alten Koffer, der völlig leer war bis auf vielleicht ein Dutzend alter Briefe, die noch in den Umschlägen steckten, wieder auf. Die Neugierde ging mit mir durch, denn auf einem sah ich seinen Namen über dem Absender: Pellinore Warthrop, Esq . Adressiert an Dr. A. F. Warthrop in der Harrington Lane 425, war der Brief in London, England, abgestempelt. Die Handschrift war zweifellos die des Doktors, nur viel ordentlicher als die Proben, die ich bisher zu Gesicht bekommen hatte, als wäre eine bewusste Anstrengung zugunsten der Leserlichkeit unternommen worden. Der Umschlag trug das ursprüngliche, nicht erbrochene Wachssiegel, wie auch die übrigen, die ich untersuchte, fünfzehn insgesamt, alle mit demselben Absender. Nachdem sie große Strecken gereist waren, waren diese Briefe von einem Sohn an seinen Vater ungelesen in einen alten Koffer geworfen und in einer feuchten und staubigen Ecke eingelagert worden. Ach, Warthrop! Ach, Menschheit! Wusste er es? Er hatte das Tagebuch gelesen,hatte sich gut genug daran erinnert, um den Eintrag zu finden, der sich auf Captain Varner bezog; war ihm jemals aufgefallen, während er diesen alten Kasten inventarisiert hatte, dass diese Briefe nie geöffnet worden waren, und würde es ihm auffallen, wenn einer jetzt geöffnet würde?
Es war ungehörig, ungehorsam, ein empörender Eingriff in seine Privatsphäre. Sollte ich? Wagte ich es? Ich warf einen Blick zur Tür und hielt den Atem an. Kein Laut außer dem Ticken der Kaminuhr und dem Brausen des Bluts in meinen Ohren. So vieles an diesem Mann, mit dem ich jeden wachen Moment teilte und mit dessen Leben meins nun so unentwirrbar verbunden war, war mir ein Rätsel. Ich wusste nahezu nichts über ihn und absolut nichts über seine Vergangenheit. Der Brief in meiner Hand würde unzweifelhaft Hinweise darauf enthalten. Jetzt oder nie, Will Henry , sagte ich mir. Leg ihn weg oder mach ihn auf – jetzt oder nie!
Ich machte ihn auf.
Der Umschlag enthielt ein einzelnes Blatt in Schreibpapierformat, verfasst von derselben Hand, die den Umschlag adressiert hatte. Der Text datierte vom 14. März 1865 und lautete:
Lieber Vater,
da mein letzter Brief jetzt schon fast drei Wochen zurückliegt, dachte ich, ich schreibe noch einmal, damit du nicht meinst, ich vernachlässige meine Gedanken an zu Hause. Es ist nicht viel passiert, seit ich das letzte Mal geschrieben habe, außer dass ich mir eine sehr schwere Erkältung zugezogen habe mit Husten und Fieber et cetera, aber es wird dich freuen zu erfahren, dass ich deswegen keine einzige Unterrichtsstunde verpasst habe. Der Direktor sagt, er ist sehr zufrieden mit meinem Fortschritt und sagt außerdem, dass er beabsichtigt, dir eine persönliche Mitteilung zu schicken, was mein allgemeines Wohlergehen et cetera anbelangt. Bitte erwarte sie und, falls es nicht zu viel Mühe verursacht, erweise ihm die Liebenswürdigkeit einer Antwort. Er hält große Stücke auf dich, so wie, selbstverständlich, ich und alle, die dich kennen.
Ich wünschte, du würdest mir schreiben. Jede Woche treffen Briefe aus Amerika ein, und ich stehe mit dem Rest meiner Klassenkameraden in der Schlange, und jede Woche warte ich darauf, dass mein Name aufgerufen wird, und jede Woche wird er es nicht. Dies soll keine Klage sein, Vater, und ich hoffe, du fasst dieses peinliche Geständnis nicht als solche auf. Zuzeiten bin ich recht einsam und fühle mich nicht völlig zu Hause hier. Außerhalb des Unterrichts bleibe ich meistens in meinem Zimmer, und manchmal, so wie heute, wenn es kalt und bedeckt ist und weder regnet noch schneit, sondern nur trübe bleibt, als läge ein Leichentuch über der Welt, bin ich sehr einsam. Ein Brief von dir würde die Düsternis erhellen, denn, wie du weißt, bin ich nicht frei von der in unserer Familie zu findenden Anfälligkeit für Trübsinn. Ich hoffe, deine Forschungen und Reisen halten dich beschäftigt. Ich denke mir, dass meine Briefe sich im Eingang stapeln und auf deine Rückkehr warten. Und natürlich mache ich mir Sorgen, dass dir etwas zugestoßen sein könnte und niemand sich die Mühe gemacht hat, mich davon in Kenntnis zu setzen. Falls du dies hier tatsächlich erhältst, könntest du dir dann nur ein oder zwei Momente Zeit nehmen, eine flüchtige Antwort zu Papier zu bringen? Es würde mir alles bedeuten. Ich verbleibe et cetera,
Dein Sohn
Pellinore
Ich hörte, wie oben die Dielen knarrten. Schnell faltete ich den Brief zusammen, steckte ihn in den
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