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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Widersacher. Ein paar Schritt von dem Gerangel weg blieb ich stehen und zog das Silbermesser, das von Helrung mir gegeben hatte. Ich wusste nicht, ob ich imstande wäre, es tatsächlich zu benutzen, aber es zu halten gab mir ein beruhigendes Gefühl.
    Ich sollte es für nichts anderes als zur Beruhigung brauchen, denn schnell erkannte ich, dass es sich bei dem Mann nicht um John Chanler, sondern um dieselbe ziemlich zerlumpte Gestalt handelte, die uns schon seit unserer Ankunft in New York belästigte. Er kämpfte recht tapfer, aber er war kein Gegner für den Monstrumologen, dem es inzwischen gelungen war, sich mit gespreizten Beinen über ihn zu stellen und mit einer Hand seinen mageren Hals zu umklammern, während er mit der anderen seine schmächtige Brust hinunterdrückte.
    »Tun Sie mir nichts!«, kreischte der Mann mit hoher Stimme und englischem Akzent. »Bitte, Dr. Warthrop!«
    »Ich werde Ihnen nichts tun, Sie Dummkopf«, keuchte der Doktor.
    Er ließ den Hals des Mannes los und setzte sich breitbeinig auf seine Brust. Der Fang des Doktors wandte die hellgrauen Augen flehentlich in meine Richtung.
    »Ich kriege keine Luft!«, stieß er keuchend hervor.
    »Gut so! Ich sollte das Leben aus Ihnen herausquetschen, Blackwood«, sagte der Doktor. »Was zum Teufel denken Sie, was Sie da tun?«
    »Versuchen zu atmen.«
    Der Doktor stieß einen übertriebenen Seufzer aus und drückte sich hoch. Der Mann umkrampfte seinen Bauch und setzte sich mit glühendem Gesicht auf; auf seiner hohen Stirn glänzte der Schweiß. Seine Nase war außerordentlich groß und dominierte sein abgehärmtes Gesicht.
    »Sie verfolgen mich schon die ganze Zeit«, beschuldigte der Doktor ihn.
    Blackwood hatte den Blick auf mich geheftet – oder vielmehr auf den tödlichen Gegenstand in meiner Hand.
    »Könnten Sie den jungen Mann bitten, das Messer wegzustecken?«
    »Das wird er«, erwiderte der Doktor. » Nachdem er Sie damit durchbohrt hat.«
    Der Monstrumologe hielt Blackwood die Hand hin, der sie nahm und sich von Warthrop auf die Füße ziehen ließ. Dann teilte sich das Gesicht des Mannes zu einem breiten, unverfrorenen Grinsen, als hätten sie nun irgendwelche bizarren Präliminarien hinter sich gebracht. Er streckte dem Doktor die Hand hin.
    »Wie ist es Ihnen ergangen, Dr. Warthrop?«
    Warthrop ignorierte die Geste. »Will Henry, darf ich dir Mr. Algernon Henry Blackwood vorstellen, ein Reporter, der sich als Spion ausgibt, wenn er nicht gerade als Spion unterwegs ist, der sich als Reporter ausgibt.«
    »In Wahrheit bin ich von beidem nicht viel.«
    »Tatsächlich? Wieso lungern Sie dann vor meinem Hotel herum, seit ich hier angekommen bin?«
    Blackwood grinste verlegen und senkte den Blick. »Ich habe auf dasselbe gehofft, worauf ich immer hoffe, Dr. Warthrop.«
    Der Doktor nickte langsam. »Das hatte ich vermutet – undgehofft. Blackwood, Sie sehen fürchterlich aus. Wann haben Sie das letzte Mal etwas Anständiges zu essen bekommen?«
    Der Monstrumologe hatte eine Idee.
    Und so geschah es, dass ich mich eine halbe Stunde später auf einem Sofa aus schwerem Samt im luxuriös ausstaffierten Salon eines privaten »Gentlemen’s Club«, wie solche Organisationen zu jener Zeit genannt wurden, wiederfand, der in Sichtweite des berühmteren Knickerbocker Clubs gelegen war.
    Wie der Knickerbocker bildete sich auch der Club, dem Warthrop angehörte, etwas auf seine Exklusivität ein. Die Zahl der Mitglieder war beschränkt (exakt einhundert, keiner mehr, keiner weniger) und deren Identität ein streng gehütetes Geheimnis. Ich kann mich keines Mannes erinnern, der jemals öffentlich seine Angehörigkeit zum Zeno-Club zugegeben hätte, und seine Existenz wurde, soweit ich weiß, niemals bekannt gemacht oder aufgedeckt.
    Normalerweise waren keine Gäste im Bereich der exklusiven Clubatmosphäre erlaubt, doch gewisse Mitglieder, darunter auch Warthrop, waren ein bisschen gleicher als andere. Sein Klopfen wurde vom livrierten Portier erhört, der durch die kleine Klapptür, die sich unter der Messingplatte mit den Initialen ZC befand, über seine Nase hinweg auf uns herabfunkelte. Er betrachtete Blackwoods schlecht sitzenden Anzug von oben bis unten, und es war offensichtlich, dass er nicht erfreut war. Dennoch öffnete er wortlos die Tür und geleitete uns in den verlassenen Salon, wo Blackwood vor meinen Augen zu schrumpfen schien, eingeschüchtert vielleicht durch das viktorianische Übermaß der Ausstattung. Unsere Bestellungen wurden

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