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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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den Kopf. »Ich habe ihm bloß gesagt, wir würden dafür sorgen, dass es sich für ihn lohnt. Sie mögen sich damit auskennen, Pellinore, aber ich bin mit dem handelsüblichen Preis für Leichenraub nicht vertraut.«
    Der Doktor seufzte schwer. »Und die Waffe? Oder haben Sie die auch vergessen?«
    Gravois antwortete mit einem gequälten Lächeln. Er griff in die Innentasche seiner Jacke und förderte ein Schnappmesser mit Perlenheft zutage. Er drückte mit dem Daumen auf den Knopf, und die sechs Zoll lange Klinge sprang mit einem bösartigen Klick heraus.
    »Ein Mikov«, sagte er. »Das Gleiche wie das, das unserer böhmischer Leibwächter getragen hat.«
    Im ersten Stock des alten Opernhauses hatte die Gesellschaft einen Operationssaal eingerichtet, in dem Vorlesungen, Vorführungen und ab und zu eine Leichenöffnung stattfanden, Letztere auf einem kleinen Podium, das eigens für diesen Zweck gebaut worden war: Der Boden war aus Beton und leicht konkav, mit einem in der Mitte installierten Abfluss zur Ableitung von Blut und anderen Körperflüssigkeiten. Der Raum selbst war schüsselförmig und die Sitzplätze auf steilen Stufen angeordnet, die das Podium auf drei Seiten umgaben, um den Teilnehmern einen ungehinderten Blick auf die grausigen Vorgänge zu bieten.
    Zwei große Rolltische aus Metall nahmen die Mitte des Podiums ein, und auf jedem lag ein Körper. Die beiden Leichname waren von nahezu identischen Proportionen, beide waren männlich und beide so nackt wie am Tag ihrer Geburt. Eine der Leichen erkannte ich augenblicklich: Es handelte sich um die augen- und gesichtslosen Überreste Augustin Skalas.
    Bei unserem Eintreten wuchtete sich ein stämmiger Mann aus einem Sitz in der vordersten Reihe hoch und klopfte nervös die Taschen seiner Kleidung ab, als suchte er nach Wechselgeld. Gravois übernahm die Vorstellung.
    »Fredrico, dies ist mein Kollege Dr. Warthrop. Warthrop, dies ist Fredrico –«
    »Nur Fredrico, bitte«, fiel der Mann ihm ins Wort. Seine Augen huschten im Saal hin und her; es war offensichtlich, dass er an einem schlimmen Fall von Bammel litt. »Hab sie gebringt.« Er zuckte mit dem Kopf unnötigerweise zum Podium hin. »Sie haben das Geld gebringt?«
    Wäre Zeit nicht ein entscheidender Faktor bei seiner Untersuchung gewesen, ich bin sicher, der Doktor hätte sich eine ausführliche Verhandlung über die Bezahlung des Krankenpflegers für das gesetzwidrige Wegschaffen zweier Leichen aus der Prosektur des Bellevue gegönnt. Trotzdem brachte Warthrop seine Empörung zum Ausdruck über das Honorar, das der Mann verlangte und das er für vollkommen überzogen hielt; schließlich hatte der Mann ja nicht die Kronjuwelen geliefert,sondern zwei Leichen – und leihweise noch dazu! Es war ja nicht so, als würden wir verlangen, sie zu behalten. Aber Zeit war von entscheidender Bedeutung, also ließ der Monstrumologe sich erweichen, und der Mann vollzog, sobald das Geld gezählt und sicher in seiner Tasche versteckt war, seinen Rückzug, indem er uns davon in Kenntnis setzte, dass er kein Interesse habe, die Handlung zu verfolgen; er würde draußen im Korridor auf uns warten.
    Wir begannen mit Skala. Unter dem grellen Schein der elektrischen Beleuchtung untersuchte der Doktor zuerst die ihres Inhalts beraubten Augenhöhlen, dann die Überreste des Gesichts und dann die Wunde in der Brust und das verstümmelte Herz.
    »Hm, wie ich anfänglich dachte, Will Henry«, murmelte der Doktor. »Fast identisch mit den Verletzungen unseres Freundes Monsieur Larose. Beachte die Einkerbungen des Augenknochens und das Aussehen des gezackten Traumas am Herz.«
    »Bis auf das Gesicht«, sagte ich. »Larose war das Gesicht nicht abgezogen worden.«
    Warthrop nickte. »Die Häutung ist umgekehrt: Bei Larose war es der Körper, bei Skala das Gesicht, aber das könnte auf die Faktoren Ort und Zeit zurückzuführen sein. Bei ihm hier musste er schnell arbeiten.«
    »Nicht so bei Larose«, bemerkte der etwas auf der Seite stehende Gravois, dem ein bisschen übel zu sein schien. »Warum ihm dann also das Gesicht lassen?«
    Der Doktor schüttelte den Kopf. »Es könnte ein pathologischer Faktor im Spiel sein; ein Grund, der nur für den Urheber Sinn ergibt.«
    »Oder Larose wurde von jemand anderem verstümmelt, und Chanler gebraucht seine eigene Interpretation des Themas«, erwiderte Gravois.
    »Eine Möglichkeit«, räumte Warthrop ein. »Aber eine, die mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet. Wenn nicht John, wer

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