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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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im Moment dem Polizeihauptquartier weiter als bis auf hundert Yards nähern kann.«
    »Wenn es allerdings ein Vertreter des dritten Standes kann, dann ist es Riis«, sagte Dobrogeanu.
    »Apropos Riis, wo zum Teufel steckt er?«, wunderte sich Torrance.
    »Wäre es nicht entsetzlich«, meinte Gravois mit einem Funkeln in den dunklen Augen, »wenn er, das einzige unentbehrliche Rädchen in unserem Getriebe, dem zum Opfer gefallen wäre, was wir suchen?«
    »Das ist ein schrecklicher Gedanke!«, schnaubte Pelt.
    »Ich bin Monstrumologe«, erwiderte Gravois leichthin. »Es ist mein Beruf, schreckliche Gedanken zu denken.«
    Natürlich hatte Riis die Nacht überlebt. Er erschien gegen Mitte des Vormittags, als die Diskussion zu einer verirrten Bemerkung hie und da mit langen Pausen dazwischen versandet war. Der Tag wurde, wie aus Boshaftigkeit, dunkler. Die Gebäude auf der anderen Seite der Fifth Avenue standen düster im Halbdunkel; der Schnee, der inzwischen einen halben Zoll hoch lag, glänzte grau auf dem Gehweg. Von Helrung rauchte zwei Züge von seiner Havanna und machte sie dann aus. Als die Glocke läutete, sprang er so jäh aus dem Sessel auf, dass er den Ascher umwarf und die ausgedrückte Zigarre über den Perserteppich rollte. Gravois hob sie auf und steckte sie sich in die Tasche.
    »Warthrop«, sagte der dänische Journalist und schüttelte dem Doktor die Hand. »Sie sehen fürchterlich aus.«
    »Es ist mir auch ein Vergnügen, Sie wiederzusehen, Riis.«
    »Es war nicht bös gemeint. Falls es Sie tröstet, ich habe schon viel Schlimmeres aus der Mulberry Street kommen sehen, von der Art, die mit einem Leichenwagen fortgekarrt wird.«
    »Danke, Riis; jetzt fühle ich mich schon viel besser.«
    Riis lächelte. Dieses Lächeln schwand schnell. »Nun, von Helrung, Sie sollten besser Ihre Schachtel mit den roten Stecknadeln auspacken. Ihre Bestie war recht fleißig. Es hat drei, vielleicht vier weitere gegeben«, teilte er den Monstrumologen mit. Er zeigte die Stellen auf der Karte, woraufhin von Helrung seine symbolisch gefärbten Nadeln hineinstach. »Ich sage ›vielleicht‹, weil es sich in einem Fall um ein Verschwinden dreht, aus dem böhmischen Viertel. Es ist keine Leiche aufgetaucht, aber die Umstände scheinen zu den beunruhigenden Kriterien zu passen, die Sie beschrieben haben. Zeugen berichten von einem fürchterlichen Gestank, von flüchtigen Anblicken einer gespensterhaften Gestalt mit riesigen leuchtenden Augen und, in einem bemerkenswerten Bericht aus einer nicht allzu verlässlichen Quelle, dem Erscheinen eines großen grauen Wolfs auf einem nahegelegenen Dach.«
    »Ein Wolf?«, echote Torrance.
    »Es ist ein Gestaltwandler«, sagte von Helrung. »Dafür gibt es in der Literatur ausreichend Belege.«
    »Ja, eingeordnet unter freie Erfindung «, erwiderte Warthrop verächtlich.
    Riis zuckte die Schultern. »Die andern sind eindeutig das Werk unseres Mannes – oder worum immer es sich handelt. Reste – und ich meine Reste – wurden hoch über der Straße entdeckt. Zwei auf Mietskasernendächern, der dritte aufgespießt auf einem Ofenrohr über einem Restaurant dort« – er nickte zu der Nadel hin – »in Chinatown. Dieser Fall ist besonders bemerkenswert, dachte ich, auch wenn nur wegen der nackten Gewalt, die nötig sein muss, um einen solchen Gegenstand durch einen menschlichen Körper zu treiben.«
    Ich warf einen Blick auf den Doktor. Dachte er gerade dasselbe wie ich? Sah er vor seinem geistigen Auge, so wie ich, den gezackten Stamm eines zersplitterten Baums, der sich aus Pierre Laroses geschändetem Körper erhob?
    »Allen fehlten die Augen und die Haut auf dem Gesicht«, fuhr Riis fort. »Sie war mit chirurgischer Präzision von der darunterliegenden Muskulatur abgezogen worden. Alle wurden nackt aufgefunden.« Er schluckte, zum ersten Mal ein bisschen übermannt. Er nahm ein Taschentuch heraus und tupfte sich die Stirn ab.
    »Und alle drei waren jung. Der Älteste war der einzige Sohn eines Chinesen, der letzten August hier eingewandert ist. Der Junge war fünfzehn und ziemlich klein für sein Alter.«
    »Die Schwächsten«, murmelte von Helrung. »Die Verwundbarsten.«
    »Das jüngste Opfer wurde am Mulberry Bend gefunden, nur ein paar Blocks von meinem Büro entfernt. Ein Mädchen. Sie war sieben. Sie hat die weitaus schlimmsten Verstümmelungen erlitten. Ich werde Ihnen die Einzelheiten ersparen.«
    Einen Moment lang sagte niemand etwas. Dann fragte von Helrung leise: »Ihre

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