Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes
über Mr Boatmans Charakter machen«, fuhr Walker fort. »Es ist durchaus nachvollziehbar, dass er glaubte, er wäre der einzige noch lebende Verwandte, da er seit Jahrzehnten von Abraham weder etwas gesehen noch gehört hatte.«
»Aber bestimmt wüsste er doch von Williams Kindern!« Der Leiter der Anstalt sah jetzt mich an. Ich wand mich auf meinem Stuhl.
»Ich habe die Kinder in Amerika großgezogen«, sagte von Helrung hastig.
» Sie haben sie großgezogen? Wieso?«
»Weil sie …« Von Helrung begann in Panik zu geraten.
»Es ist etwas delikat; ich hoffe, Sie können das verstehen«, warf Walker sich in die Bresche.
»Ich bemühe mich angestrengt darum, Dr. Walker.«
»Sie sind die Kinder aus Williams erster Ehe«, sagte von Helrung. Walker neben ihm versteifte sich plötzlich, als hätte ihm jemand sehr hart ins Kreuz geschlagen.
»Seiner ersten Ehe?«, fragte der Leiter nach.
»In Amerika, bevor er hierherkam und Isabel kennenlernte.«
»Annabelle«, korrigierte Walker ihn.
» Ja . Die Kinder leben bei uns – mir. Meine Frau ist an der Wassersucht gestorben.« Von Helrung schwang seinen dicken Arm um meine Schulter. »Die Wassersucht.«
»Nun«, meinte der Leiter der Anstalt bedächtig. »Ich nehme an, der einzige Weg, dies aufzuklären, ist, mit Mr Boatman zu sprechen.«
»Ahhh! Mein Gott! «, rief von Helrung aus. Er sank auf seinem Stuhl nach vorn.
»Gleich werden Sie mir erzählen, dass Mr Boatman tot ist, stimmt’s?«, fragte der Leiter.
Es war schon ironisch, dachte ich später, dass dies das einzige Körnchen Wahrheit in dem ganzen Lügenhaufen war.
* * *
Hätten wir nicht das literarische Idol des Anstaltsleiters rekrutiert, ich glaube nicht, dass unserem schlecht durchdachten und noch schlechter ausgeführten Plan Erfolg beschieden gewesen wäre. Der Anwesenheit von Conan Doyle war es vermutlich zu verdanken, dass wir nicht sogleich hochkant aus der Anstalt hinausbefördert wurden – oder dort eingesperrt, bis ein qualifizierter Arzt uns untersuchen konnte.
»Ich fürchte, ich muss ein bisschen Verantwortung für William Henrys Zustand übernehmen«, gestand Conan Doyle.
»Sie, Dr. Doyle?«
»Nach dem, was Dr. Walker mir mitgeteilt hat, hat es den Anschein, dass zumindest ein Teil seiner Wahnvorstellungen auf meinen Geschichten basiert.«
»Welcher Teil soll das denn sein? Ich habe den Patienten ausführlich befragt, und ich entsinne mich nicht, dass er …«
»Nun, zum einen sein Beruf. Es besteht nicht so viel Unterschied zwischen einem beratenden Detektiv und einem Monsterjäger – es handelt sich eher um eine Abgrenzung als um einen Unterschied. Und natürlich«, fügte er beiläufig mit einem Zucken seiner kräftigen Schultern (Conan Doyle war ein famoser Kricketspieler und begeisterter Golfer) hinzu, »der Name.«
»Wessen Name?«
»Mr Henrys Name. Nicht sein richtiger Name; der Name, den er für sich ausgesucht hat, Pellinore Warthrop.«
»Es tut mir leid, Dr. Doyle. Ich entsinne mich nicht, diesen Namen in Ihrem Werk gesehen zu haben.«
»Weil Sie kein Amerikaner sind. In den Staaten ist Holmes’ Name Warthrop.«
»Tatsächlich?«
»Es ist nicht ungewöhnlich, den Namen einer Figur zu ändern, um ihn dem Geschmack einer bestimmten Kultur anzupassen.«
Der Leiter der Anstalt verlieh seiner Verwunderung Ausdruck. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass Großbritanniens Sherlock Holmes Amerikas Pellinore Warthrop war. Es schien ihn bis aufs existenzielle Mark zu erschüttern, denn wenn Holmes nicht, na ja, Holmes wäre, dann wäre er nicht Holmes!
»Kann ich ihn jetzt sehen?«, flehte von Helrung. »Ich versichere Ihnen, Sir, er wird mich, seinen Vater, kennen, und wenn nicht mich, so Billy hier, seinen Sohn. Wir würden ihn mit uns nach Amerika zurücknehmen, aber wenn Sie Nein sagen, dann können wir das nicht. Haben Sie Erbarmen und schicken Sie uns nicht fort ohne wenigstens die Chance, Abschied zu nehmen!«
An diesem Punkt gab der Anstaltsleiter dann nach. Ich bezweifle, dass er auch nur eine Sekunde lang ein Wort von unserer haarsträubenden Geschichte glaubte, aber er war jetzt neugierig – ungemein neugierig – darauf zu sehen, wie dieses bizarre Stück wohl enden mochte. Er läutete nach dem Wärter von Warthrops Station, der gleich darauf erschien.
»Wo befindet sich Mr Henry heute Morgen?«, erkundigte sich der Leiter.
»Auf seinem Zimmer, Sir, wie gewöhnlich. Nach dem Frühstück habe ich ihn gefragt, ob er gerne einen Spaziergang im
Weitere Kostenlose Bücher