Der Montagsmann: Roman (German Edition)
sie hatte gesagt, dass sie keinen Sex wollte. Aber das war Lichtjahre her! Na schön, vielleicht nicht ganz so lange, jedenfalls nicht aus normaler Sicht. Doch an ihrem Leben war nichts normal. Genau genommen bestand ihre ganze Lebensdauer aus vier mickrigen Wochen. Gemessen daran war eine einzige ja wohl wirklich viel. So viel wie bei anderen Leuten Jahre, oder?
Mit steifen Gliedern kämpfte sie sich vom Bett hoch. Ihr war nicht danach, noch länger hier zu liegen und die Decke anzustarren, nachdem sie den ganzen Tag geschuftet und eines dieser seltsamen hausinternen Edeldinner hinter sich gebracht hatte, inklusive Dachdeckermeister, Nataschas derzeitigem Favoriten.
Von einer seltsamen Rastlosigkeit erfüllt, holte sie die dünne Strickjacke aus dem Schrank und streifte sie über, ein weiteres preiswertes Kleidungsstück, das sie am letzten Wochenende erstanden hatte. Im Moment kam es ihr sinnlos vor, dass sie sich über diese Neuerwerbung gefreut hatte. Wen wollte sie denn damit beeindrucken? Es interessierte sich ja doch niemand dafür, wie sie aussah!
Ohne zu wissen, was sie vorhatte oder wo sie hinwollte, eilte sie nach unten. Im Küchenbereich sowie im angrenzenden Aufenthaltsraum war niemand mehr, alles war dunkel und still. Ohne das Licht anzumachen, streifte sie durch die Räume, die nur schwach von der einfallenden Flurbeleuchtung erhellt wurden. Am Schlüsselbrett neben dem Eingang zu den Vorratsräumen sah sie die Autoschlüssel hängen.
Warum nicht?, dachte sie trotzig. Es war ihr gutes Recht. Fabio hatte ausdrücklich gesagt, dass sie mit seinem Wagen fahren durfte. Davon, dass er jedes Mal dabei sein musste, hatte er nichts gesagt. Und jetzt hatte sie Feierabend, oder nicht? Gleiches Recht für alle. Andere Leute verbrachten ihren freien Abend auch in der Stadt, in einer Kneipe.
Na gut, es war schon fast elf. War das zu spät? Sie konnte sich zwar nicht erinnern, je um diese Uhrzeit ausgegangen zu sein, aber das war natürlich kein Maßstab, denn schließlich konnte sie sich überhaupt nicht erinnern, ausgegangen zu sein. Sie hing jeden Abend nach dem Essen auf ihrem Zimmer herum, und sie langweilte sich so sehr, dass sie nicht mal Lust aufs Fernsehen hatte. Nicht auf diese ungezählten Sendungen, in denen alle Welt ausging und Spaß hatte.
Höchste Zeit, auf diesem Gebiet in der Realität aufzuholen!
Unterwegs überlegte sie flüchtig, dass sie vielleicht nicht ganz so schnell fahren sollte. Als sie den dritten Wagen hintereinander in halsbrecherischem Tempo überholte, beschwerte sich der Fahrer mit wütendem Dauerhupen.
Egal. Sie bretterte weiter über die Landstraße, was das Zeug hielt. Zum Schleichen hatte sie keine Zeit. Sie hatte sowieso viel zu wenig Zeit. Viel weniger als andere Leute, die immerhin eine komplette Kindheit und Jugend hinter sich hatten und sich daran erinnern konnten!
Sie fand einen Parkplatz vor einer Bar und warf zornig die Wagentür zu. Das Lokal war rammelvoll und von Rauchschwaden durchzogen. Stimmengewirr erfüllte den Raum, und an den umliegenden Tischen und der Bar wurde durcheinander geschnattert und gelacht.
Na also, dachte Isabel. Geht doch! Hier tanzte der Bär, wie Harry es ausdrücken würde. Sie war ziemlich sicher, dass sie selbst diesen Ausdruck nicht verwendet hätte – warum, wusste sie allerdings auch nicht –, aber er gefiel ihr trotzdem.
Mit erhobenem Kopf steuerte sie einen freien Platz an der Bar an. Sie erklomm den gepolsterten Hocker und bestellte bei dem Barkeeper einen Tequila Sunrise. Gleich darauf musste sie lächeln, weil sie plötzlich wusste, dass das einer ihrer Lieblingscocktails war. Immerhin, ein kleiner Lichtblick an diesem miesen Abend.
»Was ist denn so lustig?«, fragte der Mann auf dem Barhocker neben ihr. Er war schon älter, an die sechzig, aber er sah noch gut aus. Mit seinen silbergrauen Schläfen und dem freundlichen Faltengesicht hätte er fast ein Bruder von Robert Redford sein können.
»Ich freu mich einfach«, sagte sie. »Weil ich schon lange keinen Tequila Sunrise mehr getrunken habe. Hm, eigentlich mein ganzes Leben lang nicht. Und weil das hier eine Jazzbar mit Livemusik ist.« Sie deutete auf die kleine Bühne, wo drei Musiker aufspielten. »Ich liebe Jazz.«
Auch das war ein Grund zum Strahlen, und sie tat es ausgiebig. Ja, sie liebte Livejazz! Und wie! Ihre miserable Laune war wie weggeblasen. Sie hatte etwas über sich entdeckt, das ihr neu war! Wunderbar, hier zu sitzen und Jazzmusik zu hören!
»So
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