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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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erneut nach. Beim Gehen sagte ich, ohne mich umzusehen, »Ich hatte gesagt, verzieh dich.«
    Er senkte seine Stimme und sagte, »Der da hat einen Brief für Sie mitgegeben.«
    Ich blieb stehen. Das Bürschchen kam rasch näher und streckte seine Hand aus.
    »Wer ist der da?«
    »Er sagte, ich soll sagen, der Schreiner.«
    Unter dem Vorwand, ihm Geld geben zu wollen, riß ich ihm eilig das Papier aus der Hand und machte mich auf den Weg. In der achteckigen Vorhalle des Hauses entfaltete ich das Blatt. Es war dieselbe schöne Schrift, angesichts derer mein Herz zu klopfen und das Blutin meinem vereisten Körper wieder zu fließen begann. Die Sonne hellte sich wieder auf, und das Leben geriet in Bewegung.
    Tantchen reichte Sudabeh ein weiteres Stück Papier. Auch auf diesem hatte die Zeit ihre Spuren hinterlassen und es gelblich gefärbt. Auf dem Blatt stand in schöner Schrift: Ich werde hinter dem Garten Eures Hauses warten .
    Das Gefühl von Zärtlichkeit und Verlangen drang durch die Worte und durch den Staub der Zeiten mitten in Sudabehs Herz. Tantchen hatte sämtliche Erinnerungsstücke aufbewahrt. Während sie das Blatt wieder an sich nahm und es an seinen Platz ins Kästchen legte, fuhr sie fort:
    Nun war es um mich geschehen. Ich war nicht mehr an die Ehre gebunden. Ich wußte, daß meine Eltern sich meinetwegen nicht mehr sorgten. Daß sie wegen des Schreiners aus dem Viertel beruhigt waren. Also würde meine Mutter bestimmt spät heimkehren, und bis zur Dämmerung hätte ich noch ein paar Stunden Zeit. Hadj Ali zählte ohnehin nicht. Der arme Alte kümmerte sich um seine eigenen Angelegenheiten. Beschwingt kehrte ich um und machte mich gemessenen Schritts links die Gasse hinunter auf den Weg. Ich ging bis ans Ende unserer Hausmauer. Dort gab es vorwiegend Gartenmauern, die sich hier und da annäherten. Auch die Durchfahrt der Kutsche, die auf Anweisung meines Vaters eine Zeit lang von dieser Seite stattgefunden hatte, war mit Schwierigkeiten verbunden gewesen. Als ich das Ende der Mauer erreichte, bog ich nach links ab. Es war ein schmaler Gartenpfad, von Platanen beschattet, die über die Mauern unseres Gartens und die des gegenüberliegenden ragten. Der Boden war holprig und voller Gestrüpp. Hier und da sah man Exkremente von Hunden und Menschen. Der nahezu verödete Pfad führte auf ein verlassenes Grundstück, auf dem ebenfalls Gestrüpp und ein paar Bäume zu sehen waren. Noch nie hatte ich diesen Durchgang oder das Grundstück dahinter auch nur eines halben Blicks gewürdigt. Doch an jenem Tag bedeutete mir dieser verlassene Durchgang das Paradies.
    Mitten auf dem Pfad blieb ich stehen. Es war drei Stunden nach Mittag. Bei dieser Sommerhitze hielt sich keine Menschenseele in dieser Gegend auf, und wenn, dann hätte mich niemand in dem abgetragenen Tchador samt Gesichtsschleier erkannt. Ich stand mit dem Rücken zur Hauptgasse. Am Geräusch seiner Schritte hörteich, wie er hinter mir in den schmalen Durchgang trat. Ich hörte das Knacken des Gestrüpps und schämte mich für die Bescheidenheit dieses Orts. Als sei ich für den verwahrlosten Zustand des Pfads verantwortlich. Wenig später überholte er mich und stellte sich vor mich hin. Ein schüchternes Lächeln umspielte seine Lippen. Unter seiner Filzkappe, die er etwas nach vorn gezogen hatte, waren die Locken zu sehen. Auch am Nacken lugten seine Haare unter dem Hut hervor. Wieder stand der Kragen seines Kattunhemds unter dem Umhang offen. Er hatte sich einen Schal um die Hüfte gebunden, und ich wunderte mich, daß es diese Kleidungsstücke immer noch gab. Wie würde er aussehen, wenn er diese Tracht den Zwängen der Zeit gehorchend ablegen und einen Anzug anziehen würde?
    Er legte beide Handflächen gegeneinander und sagte, »Salaam.«
    »Salaam.« Die Schatten der Platanenblätter zeichneten Muster auf sein Gesicht.
    Er fragte, »Wo warst du diese dreiundzwanzig Tage?«
    »Ich war eingesperrt.« Seine linke Braue hob sich vor Erstaunen. »Ich habe es meinem Vater gesagt, und er hat mir verboten, das Haus zu verlassen. Weshalb hat er deinen Laden schließen lassen?«
    Das bekannte spöttische Grinsen erschien um seine Mundwinkel. In seinen Augen blitzte der Schalk auf, »Weißt du es nicht?«
    »Nein.«
    »Frag deinen Vater.« Also hatte ich richtig geraten, es war das Werk meines Vaters. Jedoch wie? »Dein Vater hat den Laden gekauft. Es ist etwa zehn Tage her. Eines Morgens sah ich, als ich zur Arbeit kam, daß man die Ladentür geschlossen

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