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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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Sein sandfarbenes Haar war von grauen Strähnen durchzogen und ging ihm stellenweise stark aus. Seine Zähne verfaulten und hingen lose in seinem Mund. Und dann kam es plötzlich alles wieder. Mein Gedächtnis läßt mich wirklich nie im Stich: Herman (Wimpy) Brown, zeit seines Lebens an der Nadel und – wenn er wollte – ein verdammt guter Informant. Er war keinesfalls über vierzig, sah aber um einiges älter aus als ich.
    »Ich wünschte nur, ich hätte diesen Erzganoven Barty Mendez nie kennengelernt. Erinnerst du dich noch an ihn, Bumper? Ein Giftler sollte sich nie auf Gewaltverbrechen einlassen. Dafür ist man mit so einem Laster einfach nicht geschaffen. Ich hätte mich darauf beschränken sollen, aus Supermärkten Zigaretten abzustauben. Auf diese Weise wäre ich sicher eine ganze Weile gut durchgekommen.«
    »Wo schlägst du denn jetzt gerade immer zu, Wimpy?« erkundigte ich mich und gab ihm Feuer. Er fror und hatte eine Gänsehaut. Wenn er irgend etwas wußte, dann würde er es mir erzählen. Er war im Moment so heiß auf einen Schuß, daß er sogar seine eigene Mutter verpfiffen hätte.
    »Nicht hier, Bumper – nicht in der Nähe deines Reviers. Ich fahre immer in den Westen rüber und hole mir da so jeden Tag ungefähr ein Dutzend Kartons Zigaretten aus einem von diesen riesigen Supermärkten. Hier halte ich nur nach Leuten Ausschau, die vielleicht was zu verkaufen haben.«
    »Wie sieht's mit deiner Bewährung aus?«
    »Alles in Ordnung, Bumper. Ich melde mich regelmäßig. Du kannst ja anrufen und dich erkundigen.« Gierig sog er an seiner Zigarette, aber auch das verschaffte ihm keine nennenswerte Linderung.
    »Laß mich mal deine Arme sehen, Wimpy«, forderte ich ihn auf und ergriff seinen knochigen Arm, um ihm den Hemdsärmel hochzuschieben.
    »Du wirst mich doch wohl nicht wegen ein paar blöder Einstiche einlochen, Bumper?«
    »Ich bin nur ein bißchen neugierig«, beruhigte ich ihn und stellte fest, daß an der Innenseite seiner Ellbogen nichts zu sehen war. Um irgendwelche Einstiche erkennen zu können, hätte ich meine Brille gebraucht, aber die trage ich nie, wenn ich Dienst habe. Ich lasse sie immer in meiner Wohnung.
    »Nur ein paar Einstiche, Bumper. Nicht schlecht, was?« Wimpy bleckte seine schwarz verfaulten Zähne. »Ich behandle sie mit Hämorrhoidensalbe. Dann werden sie nicht so groß.«
    Ich drehte seinen Ellbogen herum und sah auf den Rücken seines Unterarms. »Verdammt noch mal, auf diesen Geleisen könnte die Union Pacific ja ihren gesamten Frachtverkehr abwickeln!« Diesmal hätte ich keine Brille gebraucht, um die angeschwollenen, vereiterten Wunden zu sehen.
    »Bitte, nicht verhaften, Bumper!« winselte Wimpy. »Ich kann ja wieder wie früher für dich arbeiten. Du hast eine ganze Menge guter Tips von mir gekriegt, weißt du noch? Ich habe zum Beispiel diesen Irren reingeritten, der in dem Hinterhof fast dieses Animiermädchen kaltgemacht hätte. Du weißt schon, dieser Typ, der ihr fast eine Titte abgesäbelt hätte.«
    »Ja, stimmt«, bestätigte ich, als mir die ganze Geschichte wieder einfiel. Den Burschen hatte Wimpy tatsächlich reingeritten. »Sehen sich diese Bewährungshelfer deine Arme eigentlich nicht an?« wollte ich wissen und zog ihm die Ärmel wieder herunter.
    »Ein paar sind wie Bullen, und die anderen sind Sozialarbeiter. Ich habe bis jetzt immer Glück gehabt. Entweder habe ich einen totalen Einfaltspinsel erwischt oder einen Typen, der an nichts anderes denkt als an seine Zahlen. Du weißt schon – wie viele Typen er rehabilitiert hat und so. Und die wollen auf keinen Fall, daß man rückfällig wird, verstehst du? Inzwischen sind wir ja schon so weit, daß sie einem richtiges Gift geben und dabei aber behaupten, es wäre was anderes, und dann sagen sie, man wäre geheilt. Auf ihre Statistiken bilden sie sich ja immer eine Menge ein, aber ich kann mir nur vorstellen, daß die Typen, die darin als clean geführt werden, einfach tot sind an einer Überdosis verreckt.«
    »Sieh nur zu, daß du dir keine Überdosis verpaßt, Wimpy«, brummte ich. Dann führte ich ihn ein Stück von der Arkade weg, um mich unter vier Augen mit ihm unterhalten zu können, während ich an der nächsten Rufsäule seine Bewährungsakte überprüfen lassen wollte.
    »Als ich zur Therapie eingesessen bin, Bumper, hat es mir richtig gefallen im Knast. Das kannst du mir wirklich glauben. C.R.C. ist echte Klasse. Ich kenne sogar ein paar Typen, die sich nur wegen der Einstiche

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