Der multiple Roman (German Edition)
gegangen, wie ich gehen kann.
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Denn statt Politik oder Geschichte will ich etwas völlig anderes. Immer wieder schwebt mir dieses Projekt – mit seinem Konzept der einzigartigen Multiples, der multiplen Einzigartigkeiten – als ein Projekt vor, dessen Ziel der Aufbau eines Emporiums internationaler Produktionen ist. Immer wieder stelle ich es mir als Erbe früherer Hipster-Projekte vor, von Claes Oldenburgs Laden in New York zum Beispiel, oder von Vladimir Tatlins und Herbert Bayers Kiosken in Moskau und Berlin: von diesen utopischen Gehsteig-Projekten.
Während ich so über das vergangene Zeitalter der Utopien nachdenke, erinnere ich mich auch an Walter Benjamins Aufsatz über Brecht mit dem Titel »Der Autor als Produzent«, den er schrieb, als er seine Mystik für den Marxismus eingetauscht hatte.
Ein Autor, der die Schriftsteller nichts lehrt, lehrt niemandem.
Also ist maßgebend der Modellcharakter der Produktion, der andere Produzenten erstens zur Produktion anzuleiten, zweitens einen verbesserten Apparat ihnen zur Verfügung zu stellen vermag. Und zwar ist dieser Apparat um so besser, je mehr er Konsumenten der Produktion zuführt, kurz aus Lesern oder aus Zuschauern Mitwirkende zu machen imstande ist. [820]
Mitwirkende! Ja, dachte ich. Vielleicht war das ein Konzept, das noch fehlte, das der Kollaborationen oder Koproduktion. Denn mein Konzept von den Übersetzungen als zweite Originale wirft zwangsläufig das Problem des literarischen Eigentums auf. Alle Fragen, die mit dem Übersetzen zu tun haben, sind sowohl ethischer als auch ästhetischer Natur; sie können als Versuche angesehen werden, respektvoll herauszufinden, welche Besitztümer wem gehören. Und es gibt keine offenkundige Antwort. Samuel Beckett mag zum Beispiel besitzergreifende Gefühle gegenüber seinen eigenen Übersetzungen gehabt haben, als er aber die Aphorismen von Chamfort übersetzte, machte er sie so beckettartig, wie er wollte. Das ist zweifellos ein Widerspruch. Denn an diesem Punkt gehörte der Ausgangsstoff nicht länger Chamfort. Er gehörte jetzt Beckett.
Und obwohl dieses Konzept der Koproduktionen angemessen schwindelerregend und wundervoll zu sein schien, kam mir dann ein traurigerer Gedanke.
Junge, dachte ich: Du hast bewiesen, wenigstens dir selbst, dass wir uns jetzt in einer neuen Ära der weltweiten Übersetzungen befinden müssen – einer Ära der Miniaturkollektive, sogar, wenn es sich nur um Einpersonenkollektive handelt – aber damit hast du dich gleichzeitig um die Literatur gebracht. Denn einst war es möglich, ganz in einen eingeschränkten sprachlichen Bereich einzutauchen – und von dort aus seine ganz persönliche Geschichte des Romans zu entwickeln. Es war einst möglich, zu glauben, dass man die gesamte Geschichte seiner Kunst verstanden hatte. Aber von nun an würde es unmöglich sein, alle früheren Romane zu lesen – diese Geschichte ist jetzt endlos.
Ja, hier hielt ich inne. Und so kam ich zu der einzigen Schlussfolgerung, die mir möglich erschien. All dies bedeutet schlichtweg, dachte ich, dass jedes persönliche Projekt wilder sein sollte: völlig amateurhaft und multiple. Denn dieser neuartige Zustand der Welt, dachte ich, bedeutete nicht den Tod der Literatur. Das ist nie der Fall. Aber,
amigos
, es war der Tod einer früheren Art.
Anhang
Abbildungsnachweise
Laurence Stern, Leben und Ansichten von Tristram Shandy,
Gentleman. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2010 .
Saul Steinberg, Passport for Vladimir and Vera Nabodov, 1970
© The Saul Steinberg Foundation/Artists Rights Society ( ARS ),
New York
Saul Steinberg, Untitled
Published in Steinberg, Art of Living, 1949
© The Saul Steinberg Foundation/Artists Rights Society ( ARS ),
New York
Saul Steinberg,
Doubling Up
, 1946 ,
Ink on paper
Originally published in
Architectural Forum
, April 1946 ;
republished in Steinberg,
The Art of Living
, 1949
Danksagungen
Für ihre Hilfe mit den ersten Fassungen dieses Projekts der Multiples danke ich einer Reihe von Menschen und Institutionen: zuerst meinem Erstleser, Craig Raine, und seiner Frau Ann Pasternak Slater; dann nachfolgenden Lektoren und Lesern: Dan Franklin, Courtney Hodell, Peter Straus und Melanie Jackson; Malcolm Bowie und Noel Malcolm; sowie zwei Institutionen: dem All Souls College, Oxford; und der Santa Maddalena Foundation, Donnini, geleitet von Baronessa Beatrice Monti von Rezzori. Diese Endfassung ist mit ihrer aller Hilfe entstanden,
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