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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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›vorzustellen‹, das heißt ich wende mich an die Analogie, die sich ein einziges Ziel stellt: die Mangelhaftigkeit unseres Definitionssystems wettzumachen.«
    14
    1929 machte Igor Stravinsky, ein weiterer Exilant aus dem kommunistischen Russland, in Harvard eine ganz ähnliche Äußerung: »Die bildenden Künste werden uns im Raum vorgestellt. Wir gewinnen einen Gesamteindruck von ihnen, bevor wir nach und nach und in unserem eigenen Tempo Details entdecken. Aber Musik beruht auf zeitlichen Abfolgen, die Geistesgegenwärtigkeit erfordern. Folglich ist Musik eine
chronologische
Kunst, während die bildenden Künste
räumliche
Künste sind.«
    15
    1832 griff sich Stendhal zufällig sein
Vie de Rossini
und machte folgende Notiz – »J’avais oublié ceci. Ouvert par hasard le 17 février 1832 à Civ. Very satisfied of the first pages. 1832 .« Und noch einmal: »Content
after
huit ans. 17 févr 1832 .«
    16
    In Notizen über Stendhal macht der sizilianische Schriftsteller Giuseppe di Lampedusa eine wichtige Beobachtung: »Der Dialog der Personen in
Le Rouge et le Noir
beruht auf einer derart raffinierten Technik, daß man sie auf den ersten Blick gar nicht bemerkt. Man wird dort vergebens die Fehler zahlreicher Romane suchen (darunter einige der größten!), die darin bestehen, das Innere der Figuren durch ihre Reden offenlegen zu wollen …
Es gibt bei ihm keine einzige berühmte Dialogstelle

    17
    Genauso beschreibt Nabokov in seiner Autobiographie, wie ein Familienfreund, General Kuropatkin, einmal einen Zaubertrick mit Streichhölzern gezeigt hatte. Dann traf Nabokovs Vater fünfzehn Jahre später, als er vor den Bolschewiken floh, den verkleideten Kuropatkin und bat ihn um Feuer: »Was mir gefällt«, fuhr Nabokov fort, »ist die Entwicklung des Steichholzthemas:« »Derlei thematische Muster das Leben hindurch zu verfolgen, sollte, so meine ich, der wahre Zweck einer Autobiographie sein.«
    18
    Eine Frau namens Jeanne Le Perthuis des Vauds verlässt das Kloster, in dem sie erzogen wurde, und heiratet einen Mann namens Monsieur le Vicomte de Lamare, dessen Vorname Julien ist. Sie verbringen ihre Flitterwochen in Korsika. Dann leben sie zusammen bei Jeannes Familie in der Normandie – Les Peuples. Dort betrügt Julien Jeanne mit ihrem Dienstmädchen, Rosalie. In der Zwischenzeit bringt Jeanne ein Baby zur Welt, Paul. Julien betrügt Jeanne mit ihrer besten Freundin, der Comtesse de Fourville, deren Ehemann, der Comte de Fourville, ihre Untreue entdeckt und sowohl Julien als auch die Comtesse ermordet. Dann stirbt Jeannes Mutter. Jeannes Sohn Paul verlässt sein Zuhause, häuft riesige Schulden an, und bandelt mit einer Prostituierten an. Er fordert immer mehr Geld. Jeanne ist ruiniert. Dann stirbt Jeannes Vater. Das Dienstmädchen, Rosalie, kehrt zurück, um sich um Jeanne zu kümmern. Pauls Freundin bekommt ein kleines Mädchen und stirbt dann auch. Rosalie reist nach Paris, um das Baby zu holen, damit es bei ihr und Jeanne leben kann.
    19
    Und richtig, dies war schon einmal geschehen, in Sankt Petersburg, wo Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Nikolai Gogol seine Geschichte mit dem Titel
Nase
schrieb (die Saul Steinbergs Lieblingsgeschichte werden sollte), in der er eine Wirklichkeit darstellt, die sich in etwas Seltsames, etwas Traumähnliches verwandelt hatte – wo ein Mann seine Nase verliert und diese Nase dann in Sankt Petersburg herumläuft, als sei nichts passiert. In ihren frühen Fassungen wurde die Erzählung explizit als Traum einer Figur identifiziert: Aber die fertige Fassung enthält keine Hinweise darauf, dass die beschriebene Wirklichkeit von der ontologischen Stabilität eines Traumes sein könnte: die hatte Gogol alle gestrichen.
    20
    Nicht, wie Nabokovs fiktiver Schriftsteller, Sebastian Knight, denn der »gehörte zu jener seltenen Sorte von Schriftstellern, die wissen, daß nichts außer der vollkommenen Leistung übrigbleiben darf: dem gedruckten Buch, dessen Vorhandensein sich schlecht mit dem seines spukhaften Zerrbildes verträgt, des ungeschliffenen Manuskripts, das mit seinen Schwächen prahlt, wie ein rachsüchtiges Gespenst den Kopf unter dem Arm trägt …«
    21
    Eine von Vladimir Nabokovs Vorlesungen über
Don Quixote
hieß »Siege und Niederlagen«. Darin beschrieb er genau »vierzig Episoden, in denen Don Quijote als fahrender Ritter agiert«. Und er führte fort: »Wir wollen ihm nunmehr durch diese vierzig Begegnungen folgen. Die meisten von ihnen sind

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