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Der Nachbar

Titel: Der Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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der sein Ziel, eines der Polizeifahrzeuge, verfehlt und stattdessen den Unterboden eines umgestürzten alten Ford Cortina mit leckem Benzintank getroffen hatte, der sofort explodiert war. Der Wind, der von den Feldern und Wiesen hinter der Siedlung durch den Betonkanal der Bassindale Row fegte, hatte die dichten Rauchwolken über die Jugendlichen auf der Barriere hinweg den Polizisten in die Augen geblasen, und schon war die Idee geboren, die Bullen mit schwarzem Qualm einzunebeln, um ihnen die Sicht zu rauben.
    Jimmy war nicht der Einzige, der erkannte, wie kurzsichtig diese Strategie war. Die Jugendlichen auf den Barrikaden hatten sich Tücher über Mund und Nase gebunden, um für den Moment gewappnet zu sein, wenn der Wind umschlug. Helfen würde es ihnen nichts – der Qualm war zu dick, sein Gestank zu widerlich, um sich von simplem Stoff abhalten zu lassen –, und die Polizei würde hinterher behaupten, die Tücher hätten der Maskierung gedient und nicht dem Schutz.
    Als Jimmy jetzt dort stand, war ihm allerdings nur klar, dass unweigerlich jeder festgenommen werden würde, der hier draußen erwischt wurde, wenn es der Polizei gelang, die Barrikade zu durchbrechen. Ein wirbelnder Windstoß riss ein Loch in die schwarzen Rauchschwaden, so dass er flüchtig das Waffenarsenal der Polizei und die dicht geschlossenen Reihen schwarz uniformierter Beamter der Sondereinheiten dahinter erkennen konnte. O mein Gott! dachte er und verkroch sich in den Schatten einer Türnische. Das sah ja aus wie eine Szene aus
Krieg der Sterne
.
    Noch während er zurückwich, rannte ein kleiner Junge durch die Straße auf die Barrikade zu und schleuderte, von brüllenden Anfeuerungsrufen begleitet, eine brennende Benzinbombe durch den Riss in den Rauchwolken. Flackernd wie ein Irrlicht flog die Flamme in hohem Bogen durch die Luft, bevor sie dicht vor den Polizeitruppen eine Feuerwand quer über den Asphalt zog. Es war nicht halb so schön wie ein Feuerwerk, aber doppelt so erregend.
    Das war Krieg.
Vor dem Haus Humbert Street 23
    Auch Wesley Barbers Molotow-Cocktail hatte sein Ziel erreicht. Prasselnde Flammen schossen an der Eingangstür zum Haus Nummer 23 in die Höhe, fanden Nahrung im Öl des hoch glänzenden Lacks und fraßen ihn in glühenden Streifen von der Tür. Melanie, die Brände bisher nur im Kino gesehen hatte, erschrak zu Tode. Niemals würde ein solches Feuer sich in Schach halten lassen. Wenn es erst Haus Nummer 23 erfasst hatte, würde es im Nu auf das Nachbarhaus überspringen, wo die alte Mrs Howard und Rosie und Ben, ihre Kinder, wohnten.
    »Oh, mein Gott! Mein Gott!«, schrie sie laut und rannte schon zu dem brennenden Haus. »Tu was, Col! Tu doch was!«
    Er versuchte, sie zurückzuhalten, aber sie war stärker als er, und er konnte nur entsetzt zusehen, wie sie vergeblich versuchte, den äußeren Rand des Flammenteppichs auf dem Gartenweg auszutreten, um näher an die Haustür heranzukommen und das Feuer durch Schläge zu löschen. Wenn sie ihre Jacke noch gehabt hätte, wäre ihr die ein gewisser Schutz gewesen, oder sie hätte sie benutzen können, die Flammen zu ersticken. Aber sie hatte nur ein T-Shirt und Shorts an und konnte der Hitze nicht standhalten.
    Mit einem heulenden Aufschrei der Verzweiflung wandte sie sich ab, um ihr Gesicht zu schützen, und fiel hysterisch schluchzend mit flehend erhobenen Händen vor der Menge auf die Knie.
    Es wurde ganz still. Wesley Barber wurde die zweite Benzinflasche, die er gerade anzünden wollte, von einem seiner Freunde aus der Hand gerissen. »Das ist Col Pattersons Schwester«, brüllte der Junge ihn an. »Willst du die auch abfackeln?«
    Wesley, im Drogen- und Adrenalinrausch, kreischte wütend: »Wen interessiert 'n das? Sie ist doch nur ne beschissene Weiße.«
    Alle hörten ihn. Melanie natürlich auch. Torkelnd stand sie auf und wischte sich die Tränen mit dem Handrücken aus dem Gesicht. Ihr wurde mehr Autorität zugestanden, als sie wusste, nicht nur weil sie und ihre Familie in der Siedlung wohl bekannt waren, sondern auch weil sie so offenkundig schwanger war. Wie meist enthüllte ihr Kleid mehr als es verbarg, und niemand konnte die Geste missverstehen, mit der sie schützend die Hand auf ihren nackten, runden Bauch drückte.
    »Das Kind, das ich bekomme, ist schwarz!«, schrie sie Wesley zu. »Willst du auch Schwarze ermorden?« Sie musterte die Menge mit vernichtendem Blick. »Seid ihr deshalb hergekommen? Weil ihr zuschauen wollt, wenn so

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