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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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rückgängig zu machen ist. Und leichtsinnig bin ich nun wirklich nicht.«
    »Wie viel hast du deinem Architekten erzählt?«, fragt ihr Vater.
    »So viel, wie er meiner Ansicht nach wissen musste«, sagt Celia, während er an ihr vorbeigleitet, um das Karussell zu inspizieren. »Er setzt gern neue Maßstäbe, und ich habe ihm meine Hilfe angeboten, damit er noch einen Schritt weiter gehen kann. Ist Mr Barris mein Gegner? Es wäre ziemlich hinterhältig von ihm, mir ein Karussell zu bauen, um nicht in Verdacht zu geraten.«
    »Er ist nicht dein Gegner«, sagt Hector mit einer abschätzigen Geste, die seine spitzenbesetzte Ärmelmanschette flattern lässt wie eine Motte. »Aber so was könnte durchaus als Betrug gelten.«
    »Wie kann das Hinzuziehen eines Ingenieurs zur Ausführung einer Idee gegen die Regeln sein, Papa? Ich habe das Projekt mit ihm besprochen, er hat die Planung und den Bau übernommen, und dann habe ich es … verfeinert. Möchtest du mal fahren? Es kann eine ganze Menge mehr als nur im Kreis gondeln.«
    »Das scheint mir auch so«, sagt Hector und schaut den Figuren hinterher, die der Reihe nach in einem dunklen Tunnel verschwinden. »Mir gefällt es trotzdem nicht.«
    Celia geht seufzend zum Karussell und streichelt einem vorbeifahrenden übergroßen Raben den Kopf.
    »In diesem Zirkus ist schon einiges durch Gemeinschaftsarbeit entstanden«, sagt sie. »Warum soll ich das nicht zu meinem Vorteil nutzen? Du sagst immer, ich müsse mehr tun, als nur aufzutreten, aber dann muss ich mir auch die Gelegenheiten dazu schaffen. In der Hinsicht ist Mr Barris sehr hilfreich.«
    »Die Zusammenarbeit mit anderen bringt dich nicht weiter. Diese Leute sind nicht deine Freunde, sie sind unwichtig. Und vergiss nicht, einer von ihnen ist dein Gegner.«
    »Du weißt, wer es ist, oder?«, fragt Celia.
    »Ich hege einen Verdacht.«
    »Aber du willst ihn mir nicht sagen.«
    »Die Identität deines Gegners ist unerheblich.«
    »Für mich nicht.«
    Hector runzelt die Stirn und sieht zu, wie Celia geistesabwesend mit dem Ring an ihrer rechten Hand spielt.
    »Das sollte sie aber sein«, sagt er.
    »Aber mein Gegner weiß, wer ich bin, richtig?«
    »Allerdings, sofern er nicht hochgradig dumm ist. Und dass Alexander sich einen hochgradig dummen Schüler sucht, ist unwahrscheinlich. Aber das spielt keine Rolle. Es ist besser für dich, wenn du unbeeinflusst von deinem Gegner arbeitest. Ohne jegliche Gemeinschaftsarbeit , wie du es nennst.«
    Er wirft den Arm in Richtung Karussell, worauf die Bänder zittern, als wäre ein leichter Wind in das Zelt geweht.
    »Warum soll das besser sein?«, fragt Celia. »Ist hier nicht alles gleich gut? Kann man ein Zelt mit dem anderen vergleichen? Wie lässt sich das alles überhaupt beurteilen?«
    »Das ist nicht deine Sorge.«
    »Wie soll ich mich in einer Prüfung hervortun, wenn du mir die Regeln nicht nennst?«
    Die Karussellfiguren drehen die Köpfe dem Geist in ihrer Mitte zu. Greife, Füchse und geflügelte Drachen starren ihn mit glänzend schwarzen Augen an.
    »Lass das!«, fährt Hector seine Tochter an. Die Figuren drehen ihre Köpfe wieder nach vorn, aber ein Wolf knurrt, als er in seine Starre zurückkehrt. »Du nimmst die Sache nicht ernst genug.«
    »Das hier ist ein Zirkus«, sagt Celia. »Man kann ihn schwerlich ernst nehmen.«
    »Der Zirkus ist nur der Schauplatz.«
    »Dann ist das kein Spiel oder Wettstreit, sondern eine Ausstellung.«
    »Es ist mehr als das.«
    »Inwiefern?«, will Celia wissen, doch ihr Vater schüttelt nur den Kopf.
    »Ich habe dir alle Regeln genannt, die du kennen musst. Du gibst dein Äußerstes, und der Zirkus dient dir dabei als Schauplatz. Du beweist dich als die Bessere und Stärkere. Du tust alles, um deinen Gegenspieler in den Schatten zu stellen.«
    »Und wann entscheidest du, wer von uns besser ist?«
    »Ich entscheide gar nichts«, sagt Hector. »Hör auf, Fragen zu stellen. Tu einfach mehr. Und hör auf, mit anderen zusammenzuarbeiten.«
    Bevor sie etwas erwidern kann, verschwindet er und lässt sie allein im Glitzerlicht des Karussells zurück.
    *
    Anfangs bekommt Marco häufig Briefe von Isobel, aber als der Zirkus in ferne Städte und Länder reist, vergehen Wochen und manchmal Monate zwischen den einzelnen Schreiben.
    Wenn ein neuer Brief eintrifft, zieht er nicht mal den Mantel aus, sondern reißt den Umschlag augenblicklich auf.
    Er überfliegt die Seiten, die gefüllt sind mit höflichen Fragen nach seiner Zeit in London und

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