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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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erschufen wir unser Meisterwerk und gaben ihm den liebevollen Titel Esel, dummer Esel .
    Oberflächlich betrachtet war es ein zotiges kleines Lied über einen Esel, der Arkanist werden wollte. Das gewitzte Wortspiel mit Ambroses Nachnamen – »Jakis« ist in einem Dialekt dort auch eine Bezeichnung für einen Esel – war das Einzige, was ihn damit in Verbindung brachte. Doch jeder, der auch nur ein bisschen Grips in der Birne hatte, verstand sofort, auf wen das Lied gemünzt war.
    Es war schon spät, als Threpe und ich die Bühne erklommen, und wir waren nicht die Einzigen, denen der Wein schon zugesetzt hatte. Es gab tosendes Gelächter und einen Beifallssturm von der Mehrheit des Publikums, das nach einer Zugabe verlangte. Wir trugen das Lied gleich noch einmal vor, und beim Refrain sangen alle mit.
    Der Schlüssel zum Erfolg des Lieds war seine Schlichtheit. Man konnte es pfeifen oder summen, und wer auch nur drei Finger hatte, konnte es spielen. Es war ein regelrechter Ohrwurm, dabei vulgär und bösartig. Und es verbreitete sich wie ein Lauffeuer auch an der Universität.

    Ich öffnete die Eingangstür der Bibliothek und betrat den Vorraum, wo sich meine Augen erst an das rötliche Licht der Sympathielampen gewöhnen mussten. Die Luft hier war trocken und kühl, und es roch nach Staub, Leder und alter Tinte. Ich atmete tief ein, wie ein Hungernder, der vor einer Bäckerei steht.
    Wilem hatte Dienst am Empfang. Das hatte ich gewusst. Ambrose war nicht da. »Ich möchte mit Meister Lorren sprechen«, sagte ich schnell.
    »Es ist gerade jemand bei ihm. Das könnte noch eine Weile dauern.«
    Ein großer, schlanker Kealde öffnete die Tür hinter dem Empfang. Anders als die meisten Kealden war er bartlos und hatte langes Haar, das er zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Er trug mehrfach geflicktes Lederzeug, wie für die Jagd, einen verblichenen Reiseumhang und hohe Stiefel, die noch staubig von der Straße waren. Als er die Tür hinter sich schloss, hielt er unwillkürlich den Griff seines Schwerts, damit es nicht an die Wand oder das Pult schlug.
    »Tetalia tu Kiaure edan A’siath«, sagte er auf Siaru und klopfte Wilem auf die Schulter, als er um den Empfang herumging. »Vorelan tua tetam.«
    Wil lächelte und zuckte die Achseln. »Lhinsatva. Tua kverein.«
    Der Mann lachte, und als er hinter dem Empfang hervortrat, sah ich, dass er außer dem Schwert auch noch einen langen Dolch trug. Ich hatte hier an der Universität noch nie einen Bewaffneten gesehen. Im Vorraum der Bibliothek wirkte er so fehl am Platz wie ein Schaf im Thronsaal eines Königs. Doch er gab sich, als fühle er sich hier wie zu Hause.
    Als er mich dort stehen sah, hielt er inne und legte den Kopf ein wenig auf die Seite. »Cyae tsien?«
    Ich erkannte die Sprache nicht. »Wie bitte?«
    »Oh, entschuldige«, erwiderte er in akzentfreiem Aturisch. »Du siehst yllisch aus. Das rote Haar hat mich getäuscht.« Er musterte mich. »Aber das bist du nicht. Du bist ein Ruh, nicht wahr?« Er trat vor und gab mir die Hand. »Eine Familie.«
    Ich schüttelte ihm die Hand, ohne weiter nachzudenken. Sein Griff war steinhart, und seine dunkle Kealdenhaut war noch zusätzlich sonnengebräunt, daher stachen ein paar blasse Narben hervor, die über die Fingerknöchel und die Arme verliefen. »Eine Familie«, wiederholte ich, zu verblüfft, um etwas anderes zu sagen.
    »Man trifft nur sehr selten jemanden von der Familie hier«, sagte er leichthin und ging an mir vorbei zum Ausgang. »Ich würde gerne noch bleiben und ein wenig plaudern, aber ich muss noch vor Sonnenuntergang in Evesdown sein, sonst verpasse ich mein Schiff.« Er öffnete die Tür, und Sonnenschein strömte herein. »Wir sehen uns, wenn ich das nächste Mal hier in der Gegend bin«, sagte er, winkte und verschwand.
    Ich wandte mich an Wilem. »Wer war denn das?«
    »Einer von Lorrens Gillern. Er heißt Viari.«
    »Der ist Bibliothekar? «, sagte ich ungläubig und dachte an die bleichen, stillen Studenten, die hier sonst den Bibliotheksdienst verrichteten.
    Wil schüttelte den Kopf. »Er ist in der Inkasso-Abteilung. Die holen aus der ganzen Welt Bücher zurück. Das ist ein ganz anderer Menschenschlag.«
    »Den Eindruck habe ich auch«, sagte ich und sah mich noch einmal zur Tür um.
    »Er war der, mit dem Lorren gesprochen hat, also kannst du jetzt zu ihm«, sagte Wilem, stand auf und öffnete mir die Tür hinter dem Empfangspult. »Am Ende des Korridors. An der Tür ist ein

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