Der Narr und der Tod
Sirenen der näher kommenden Streifenwagen nur als irrelevantes Hintergrundgeräusch wahrnahm. Meine freie Hand ertastete eine Plastikschachtel in der Windeltasche, zog sie heraus, klappte sie auf. Halleluja! Feuchte Wischtücher.
Nach einigen weiteren höchst anstrengenden Minuten war Hayden halbwegs sauber und frisch gewickelt – so gut ich das eben konnte. Er wimmerte inzwischen nur noch leise vor sich hin, aber das konnte sich schlagartig ändern, wenn es mir nicht gelang, auch seine anderen Probleme zu lösen. Wahrscheinlich hatte er Hunger – ich erinnerte mich daran, wie Regina am Nachmittag die Fläschchen vorbereitet hatte. Der Himmel segne diese Frau! Was immer sie getan haben mochte, solange sie mir Fläschchen für das Baby hinterlassen hatte, war ich bereit, ihr einiges zu vergeben.
Im Kühlschrank standen vier Fläschchen und ich wärmte eins in der Mikrowelle, wie Regina es mir vorgeführt hatte. Hatte sie ihr Verschwinden vorhergesehen oder gar geplant? Hatte sie deswegen so penetrant darauf bestanden, mir zu zeigen, wie man ein Babyfläschchen vorbereitete und prüfte, ob es die richtige Temperatur hatte?
Die Vorstellung, Regina könnte gewusst haben, dass sie gehen würde, war einfach zu abscheulich – es tat mir leid, überhaupt auf die Idee gekommen zu sein. Ich setzte Hayden in seinen Babysitz, den ich im Wohnzimmer entdeckt und in die Küche geschleppt hatte, und hielt ihm die Flasche an den Mund. Den Rest erledigte der Kleine selbst. Ich sackte auf einen Küchenstuhl, hielt mit der einen Hand (hoffentlich richtig) die Flasche und stützte mit der anderen meinen Kopf.
Als ich draußen vor der Küchentür Schritte hörte, wusste ich, jetzt war die Zeit gekommen, in der ich Fragen beantworten musste. Hayden nuckelte an seinem Fläschchen, als sei darin die Lösung für sämtliche Probleme des Universums zu finden.
Wieso hatte ich nicht auch so ein Ding?
Kapitel 3
Nachdem die Countypolizisten ein oder zwei Stunden lang im Haus aus- und eingegangen waren, konnte ich vor lauter Erschöpfung, Wut und Entsetzen kaum noch zwei Worte aneinanderreihen, geschweige denn mit zusammenhängenden Aussagen aufwarten. Martin war die meiste Zeit draußen gewesen, kam jetzt aber dicht gefolgt von Sheriff Padgett Lanier herein. Die beiden verschwanden im Arbeitszimmer und tauchten erst einmal nicht wieder auf.
Ich verbrachte die trostlose Zeit mit Hayden, versuchte, seinen Strampelanzug wieder zuzuknöpfen und ihn mir über die Schulter zu legen, um ihn sein Bäuerchen machen zu lassen. Babys sollten nach dem Essen aufstoßen, wenigstens das war mir inzwischen eingefallen.
„Halten Sie ihn ein bisschen hoch“, meinte ein stämmiger junger Mann in der Uniform des Sheriff Departments. „Ich habe ein vier Monate altes Baby“, fügte er hinzu, als würde ich ihm seine Expertise sonst nicht abnehmen. Vorsichtig hielt ich ihm das warme Bündel hin.
„Außerdem müssen Sie sich eine Windel über die Schulter legen“, fuhr er hilfsbereit fort. Ich reichte ihm gerade noch rechtzeitig eine Stoffwindel aus der Tasche: Hayden strahlte ihn an und rülpste Babynahrung über die frische Windel. Der junge Mann erwiderte das Lächeln, ehe er mir den Kleinen zurückreichte. Widerstrebend streckte ich die Arme aus. Hayden war keine Feder, ich war sein Gewicht einfach nicht gewöhnt, und meine Schultern schmerzten.
Wie verwöhnt ich doch war, dachte ich gleich darauf entsetzt, als mir klar wurde, dass ich wütend war, weil Martin es nicht fertigbrachte, das Kind irgendwie verschwinden zu lassen. Er hätte doch zumindest bei mir sein, sich gemeinsam mit mir im Selbstmitleid suhlen können: Wir Ärmsten, was hatten wir doch auszustehen! Auf jeden Fall hätte er mir Tipps geben müssen, denn immerhin hatte er ein Kind und somit Erfahrung.
Resolut verbat ich mir all diese abwegigen Gedanken und konzentrierte mich stattdessen darauf, Mitleid mit meinem Mann zu haben. Immerhin hatte der diese schreckliche Leiche auf unserem Besitz gefunden, seine Nichte war verschwunden und musste wohl als Mordverdächtige gelten, er war nicht in der Lage, seine Schwester zu erreichen und sie über das Vorgefallene zu informieren, und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, trug er immer noch seine durchnässte Kleidung.
Nachdem ich meine Frustration überwunden und meine Gefühle in ruhigere Bahnen gelenkt hatte, stellte ich mir endlich die Frage, die bereits die ganze Zeit auf der Hand gelegen hatte: War der Tote draußen wirklich
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