Der Narr und der Tod
ein Baby haben würde, jetzt, nachdem ich eines hielt, dann würde ich ihn kneifen, und zwar irgendwo, wo es richtig weh tat. Warum? Weil ich so tief, so schmerzlich über mich selbst erstaunt war. Ich hatte mir so sehr ein Baby gewünscht. Jetzt hatte ich eins und versuchte mit allen Mitteln, es wieder loszuwerden.
Das konnte teilweise daran liegen, dass man mir dieses Baby förmlich über Nacht aufgebürdet hatte, mit allem, was dazugehörte. Normalerweise war man schwanger, ehe man ein Baby bekam, die Hormone sorgten dabei für eine Vorbereitungsphase, die mir deutlich fehlte.
Zum größten Teil aber entstammten meine Gefühle Hayden gegenüber der festen Überzeugung, dass seine Mutter früher oder später wieder auftauchen würde. Das wusste ich einfach. Dann würde Hayden wieder verschwinden. Falls Regina ihn nicht für sich beanspruchte, dann jemand anderes, der mehr Anspruch auf dieses Kind hatte als ich – und meiner war so gut wie nicht existent. Welcher Sinn lag darin, mir noch mehr Kummer einzuhandeln, als ich sowieso schon hatte?
Nachdem ich mir das alles still und heimlich eingestanden hatte, ging es mir besser. Wir hielten gerade an einer roten Ampel, und ich warf einen Blick hinüber zu Martin, der aus seinem Fenster hinaus auf die kahlen Bäume starrte. Der Himmel war von diesem bleiernen Grau, mit dem sich oft Schnee ankündigte – zumindest meiner zugegebenermaßen begrenzten Erfahrung nach.
„Als Nächstes sollten wir wohl mit Cindy und Craigs Bruder reden“, sagte ich und war davon nicht begeistert.
„Das wird wohl das Beste sein.“ Martin drehte sich um und sah mich an. „Außerdem müssen wir Rory aufspüren und versuchen, noch mehr aus ihm herauszubekommen. Wahrscheinlich sollten wir auch unsere Sachen zum Haus raus schaffen. Alles wird mit einem Ofen und einem Kühlschrank und mit mehr als einem Zimmer erheblich einfacher sein.“
„Alles“ – das war die Betreuung Haydens. Keiner von uns erwähnte, dass wir das Haus der Harbors zusammen mit dem Baby verlassen hatten, obwohl wir doch eigentlich nur hierhergefahren waren, um eben dieses Baby an Craigs Familie zu übergeben.
„Ob die Polizei draußen auf dem Hof war?“ Die Idee hatte sich sozusagen gerade eben seitwärts in meinen Kopf geschlichen.
Martin wirkte zunächst überrascht, dann nachdenklich. „Wahrscheinlich schon, sie werden sich angesehen haben, was Regina und Craig zurückgelassen haben, vielleicht erlaubt das Rückschlüsse auf das, was vorgefallen ist. Ja, ich glaube schon, dass sie da waren – falls das Sheriffbüro von Lawrenceton sie benachrichtigt hat. Aber davon gehe ich aus“, sagte er. „Ich weiß, wen ich anrufen kann. Mein alter Freund Karl Bagosian hat einen Schlüssel zum Haus. Wenn die Polizei draußen war, wird er es am ehesten wissen.“
Wir parkten vor dem Blumenladen, der Cindy Bartell gehörte. Ich war bereits einmal dort gewesen, damals war das große Schaufenster zum Bürgersteig für Ostern dekoriert gewesen, jetzt präsentierte es sich herbstlich. Über einen Minimaiskolben hinweg entdeckte ich durch die Scheibe den dunklen Kopf Cindys, die sich gerade über einen Geschenkkorb beugte, der auf dem großen Arbeitstisch hinter dem Tresen stand.
Martin öffnete mir die Autotür, was er in letzter Zeit nur noch selten getan hatte. Mir war egal, wer mir die Tür öffnete oder nicht, aber in diesem Fall verstand ich die Geste als Hinweis auf Martins Gefühle. Mein Mann streckte mir die Hand hin, um mir aus dem Mercedes zu helfen, wobei er mich ansah, als könnte er sich gar nicht mehr richtig an mein Gesicht erinnern. Sofort dachte ich daran, dass meine Haare sich unter dem Einfluss des Regens selbständig gemacht hatten und vermutlich recht wild aussahen. Meine Regenjacke konnte man wirklich nicht als sexy Kleidungsstück bezeichnen, und höchstwahrscheinlich glänzte meine Nase. Ich hatte vergessen, welche Brille ich trug, also berührte ich schnell das Gestell. Die Goldrandbrille.
„Ich hatte recht“, sagte Martin plötzlich, um dann ohne weitere Erklärung den Gurt zu lösen, mit dem Haydens Sitz auf die Rückbank geschnallt war. Er hob das Baby heraus, gab es mir, und so zogen wir Seite an Seite los, um die Arbeitsruhe seiner Exfrau zu stören. Das muntere Klingeln der Türglocke kündigte uns an, und Cindy blickte auf.
„Martin, Aurora, wie schön, euch zu sehen.“ Besonders begeistert klang sie nicht. „Wie ich sehe, habt ihr die Fahrt überlebt.“ Sie legte die
Weitere Kostenlose Bücher