Der Narr und der Tod
am Fenster im Wohnzimmer und sah hinaus. Ich trat neben sie. Gemeinsam betrachteten wir den grünen Dodge-Pick-up der Granberrys, der seitlich der Haustür parkte. Margaret war gute fünfzehn Zentimeter größer als ich und hatte breite Schultern, wirkte aber trotzdem eher zierlich und zerbrechlich.
„Was ich einfach nicht verstehe: Warum hat Regina niemandem gesagt, dass sie schwanger war?“ Margaret sah mich kopfschüttelnd an.
Laut Margaret war Regina wirklich schwanger gewesen. Wenn Hayden wirklich Reginas Kind war, dann war er auf jeden Fall schon mal nicht entführt worden und ich durfte auf der Liste von Reginas Verfehlungen, die mir im Kopf herumspukte, einen Punkt streichen.
„Ja, warum?“, flüsterte ich eigentlich mehr für meine, als für Margarets Ohren bestimmt. Warum ... der einzige Grund ... oh, igitt, nein. Ich zuckte zusammen.
„Sie hatten eine Idee?“, bohrte Margaret nach. „Sie sehen so aus, als hätten Sie in eine Zitrone gebissen.“
„Was, wenn sie nicht vorhatte, das Kind zu behalten?“
„Sie meinen, sie wollte es zur Adoption freigeben?“
„Möglicherweise. Aber eigentlich dachte ich ...“ Ich wollte den Gedanken nur ungern laut aussprechen, dabei konnte ich noch nicht einmal genau sagen, wieso ich ihn so widerlich fand.
Margaret sah erwartungsvoll auf mich herunter. „Was denn?“
„Was, wenn sie das Kind für jemand anderen austrug?“
„Sie meinen, sie wurde vorsätzlich schwanger? Quasi auf Bestellung?“
„Oder sie hat sich mit dem Samen eines anderen Mannes befruchten lassen. Dann wäre ihr Kind zumindest zur Hälfte das genetische Kind des anderen Paares.“ Das war chaotisch formuliert, aber Margaret schien mir folgen zu können. Sie nickte.
„Da könnte etwas Wahres dran sein, Aurora. Aber wissen Sie was: Wenn Regina die Unfruchtbarkeit einer anderen Frau ausgenutzt hat, um ihren Lebensunterhalt aufzubessern, halte ich nicht mehr sehr viel von ihr.“
Sie räumte das Geschirr ab, ich ließ heißes Wasser ein, und während wir abwuschen, nachspülten und abtrockneten, erzählte mir Margaret von einer Kunstausstellung, die Luke und sie in der vergangenen Woche in Pittsburgh besucht hatten. Ich hörte kaum zu, ich dachte die ganze Zeit über Regina nach.
Kapitel 9
Die Hypothese von der Leihmutterschaft erklärte vieles.
Wenn Regina Leihmutter gewesen war, hatte sie sich natürlich nicht gern in der Öffentlichkeit gezeigt, denn dann hätte man ihr Fragen gestellt, die sie nicht beantworten wollte.
Eine Leihmutterschaft erklärte auch das Geld in der Wickeltasche. Man hatte Regina für ihre Schwangerschaft bezahlt, und sie hatte wahrscheinlich auch während der Dauer der neun Monate Geld für ihre Ausgaben erhalten. Deswegen waren Craig und sie auch ohne staatliche Unterstützung ausgekommen, obwohl keiner von ihnen einer regelmäßigen Arbeit nachgegangen war.
„Ich hatte angenommen, Craig sei in Drogengeschäfte verwickelt gewesen“, sagte ich nachdenklich. „Oder eine seiner Betrugsgeschichten sei schiefgelaufen. Aber das erklärte nicht alle Fakten.“
Margaret zuckte die Achseln. „Ich hatte ein, zwei Monate Zeit, mir Gedanken über Reginas seltsames Verhalten zu machen.“
„Aber wieso hätte jemand Craig töten sollen? Warum hat man Regina entführt?“
„Vielleicht hat gar niemand Regina entführt. Vielleicht ist sie einfach gegangen.“
„Und ihr Kind ließ sie einfach zurück?“
„Das passiert doch dauernd“, verkündete Margaret mit finsterer Miene. „Ehe wir hierherzogen, wohnten Luke und ich in Pittsburgh, da Luke seine schwerkranke Mutter pflegen wollte. Wir waren gerade ein Jahr verheiratet und hatten noch nicht versucht, ein Kind zu bekommen. Jedenfalls legte diese Frau aus unserem Block ihr Kind einfach vor unserer Tür ab und verschwand. Sie dachte wohl, wir wären hellauf begeistert, weil wir keine eigenen Kinder hatten.“
„Du meine Güte! Was haben Sie gemacht?“
„Wir haben die Polizei gerufen, und die hat dem Jugendamt Bescheid gesagt. Das Kind kam zu einer Pflegefamilie.“
„Wie schrecklich! Was wurde aus der Mutter?“
Margaret zuckte die Achseln. „Die landete im Gefängnis, nehme ich mal an.“
So langsam bot mir dieser Morgen immer mehr Geheimnisse dar, über die es nachzudenken galt. Warum bekam eine Frau ein Kind, das sie gar nicht wollte? Warum vertraute sie das Schicksal des Kindes dem Zufall an? Wo war der Vater des Kindes, warum kam er in der Geschichte gar nicht vor? Wieso waren Frauen
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