Der Nautilus-Plan
er ein so genannter vigilante ?«
»Sie brauchen wohl für alles eine Schublade, wie? Also, ja und nein. Er tötete für Geld, aber nur unter der Voraussetzung, dass sich seine Opfer etwas hatten zuschulden kommen lassen und dass die Entscheidung, ob es schwerwiegend genug war, um sie zu beseitigen, bei ihm lag. Nachdem ihn die Mafia in die Unabhängigkeit entlassen hatte, konnte er diese Entscheidung treffen, ohne dass ihm jemand über die Schulter schaute oder hinterher Vorhaltungen machte. Er wollte immer alles unter Kontrolle haben.«
»Und Ihre Mutter? Fand sie irgendwann selbst heraus, was er tatsächlich machte, oder sagte er es ihr?«
»Sie fand es heraus. Sie dachte, er hätte eine Geliebte, und wurde misstrauisch.«
Blitzartig durchzuckte sie eine schmerzhafte Erinnerung: Mit tränenüberströmtem Gesicht durchsuchte ihre Mutter, Melanie, völlig aufgelöst den Schrank ihres Vaters. Und als sie darauf zu ihrer Mutter rannte, kniete diese vor ihr nieder und zupfte ihr Kleid zurecht.
»Mach dir mal keine Sorgen, mein Schatz. Es ist nichts Schlimmes. Papa hat mir einen Zettel geschrieben, und ich kann ihn nicht mehr finden. Wirklich. Es ist nichts Wichtiges. Geh nach draußen und hol dein Fahrrad. Wir fahren in den Park. Hast du Lust?«
Liz riss sich von ihren Erinnerungen los. »Natürlich sagte er ihr nicht einmal dann die Wahrheit. Er erklärte ihr, er würde für den MI6 arbeiten, weil er wusste, dass sie das gut fände. Sie begann, ihm bei der Planung und Vorbereitung der Anschläge zu helfen, bis sie sogar selbst welche durchführte.«
Mac sah sie erst neugierig, dann argwöhnisch an. »Woher wissen Sie das alles?«
»Mom hat es mir Jahre später, als ich wieder bei ihnen wohnte, erzählt.«
Er nickte. »Hört sich einleuchtend an. Die enge Beziehung ihrer Familie zum Militär hat dabei sicher auch eine gewisse Rolle gespielt.«
Sie sah ihn kurz forschend an, aber seine Miene blieb ausdruckslos. Mit Sicherheit hatte ihm Langley ihre Personaldaten zugeschickt, zu denen auch eine vollständige – und inzwischen zutreffende – Familiengeschichte gehörte. Während Melanies Vater beim Militär Karriere machte und ihre Mutter den gesellschaftlichen und wohltätigen Pflichten einer Offiziersfrau nachkam, blieb es Melanie überlassen, ihre drei kleinen Brüder aufzuziehen. Als Melanies Großvater starb, quittierte ihr Vater den Dienst, und sie zogen in die Childs Hall in London, und er wurde Sir John Childs. Nach seinem Tod ging der Titel auf Melanies Bruder Robert über. Als Sir Robert Selbstmord beging, erbte Titel und Ländereien sein ältester Sohn, ihr Cousin Michael.
»Ja«, sagte Liz, »sie konnte mit Waffen umgehen, und sie war in einer Atmosphäre aufgewachsen, in der Gewalt und Tod allgegenwärtig waren. Später, als sie schließlich herausfand, dass Papa in Wirklichkeit selbstständig war und für alle Seiten tötete, steckte sie bereits selbst so tief mit drinnen, dass sie nicht mehr zurückkonnte, obwohl sie nie gegen ihr Land arbeitete. Aber das tat auch er nie. Als ich herausbekam, was sie eigentlich machten, schaffte sie es, ganz damit aufzuhören, und er auch.«
Sie schloss die Augen und ließ sich zurücksinken. Was darauf in ihrer Erinnerung hochstieg, war eine dunkle Wohnung in Madrid, eine ihrer konspirativen Wohnungen, in die sie sich nach seinem letzten Auftrag in Lissabon zurückgezogen hatten. Das Gesicht ihrer Mutter war weiß vor Scham und Wut. Ich hasse dich, Hal. Du Schwein. Schau doch, was du aus uns gemacht hast. Jetzt weiß es auch Liz. Du wirst auch sie ruinieren!
Liz holte Atem, drängte die Erinnerungen zurück, spürte, wie sie sich innerlich verhärtete, weil Melanie jederzeit hätte Nein sagen können. »Zu uns war Papa immer sehr liebevoll. Er hat sich viel um mich gekümmert, als ich groß wurde.«
»Sie haben angedeutet, er hätte psychisch einen Knacks gehabt. Wie kam es dazu?«
»Das ist eine komplizierte Geschichte. Papas Vater war Anwalt bei einer Firma. Er war einer der Besten auf seinem Gebiet. Aber er scheint ein derart rücksichtsloser Dreckskerl gewesen zu sein, dass ihn nicht einmal seine Partner mochten. Sarah kannte ihn. Ihre Mutter erzählte mir, Großvater sei kalt und abweisend gewesen und richtig gemein zu Papa. Als Jugendlicher war Papa in einer ziemlich wilden Clique und geriet auf die schiefe Bahn. Deshalb schickte ihn Großvater zu einem Onkel in Las Vegas, der Verbindungen zur Mafia hatte. Was für eine fürchterliche – und
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