Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
Vom Netzwerk:
Teiresias Pappas! Fast so wie die Mannschaft!‹«
    Und Teiresias Pappas sagte: »In Haifa lass' ich mir den Bart stutzen!«
    Und Max Rosenfeld sagte: »Warum nicht gleich hier?«
    Und Teiresias Pappas sagte: »Weil ich hier keinen Friseur kenne!«
    Und Max Rosenfeld sagte: »Aber ich kenne einen!«
    Und Teiresias Pappas sagte: »So! Wen denn? Ich wußte gar nicht, daß es hier sowas gibt!«
    Und Max Rosenfeld sagte: »Doch. Sowas gibt's hier. Ich kenne nämlich einen. Einen Friseur. Und zwar einen guten. Den Itzig Finkelstein!«
    So fing das an:
    Der Kapitän Teiresias Pappas ließ mich gleich in seine Kabine rufen, sagte zu mir: »Herr Finkelstein. Könnten Sie meinen Bart stutzen?«
    »Das kann ich«, sagte ich. »Ich kann Ihnen auch den Flaum auf der Glatze rasieren ... und was da noch kranzartig wuchert ... an ihren Schläfen!«
    »Gut, Herr Finkelstein!« Teiresias Pappas war begei stert.
    »Aber nicht hier in der Kabine. Macht zuviel Dreck. Am besten draußen an der frischen Luft!«
    Ja. So war das, lieber Itzig. So fing das an:
    Wir holten einen Stuhl ... einen mit hoher Lehne, ... stellten ihn vor die Reling hin ... auf der Manöverbrücke ... hoch über dem Flaggenstock. Teiresias Pappas setzte sich breitspurig drauf, ließ sich von mir in Handtücher einwickeln - denn ich hatte weder Servietten noch den wichtigen Haarschneidemantel mitgenommen - hatte das beim Einkaufen vor meiner Abreise vergessen ... setzte sich also breitspurig hin, der Teiresias Pappas, ließ sich widerstandslos einwickeln.
    So fing das an, Itzig:
    Einige Passagiere hatten uns bemerkt. Ich hatte kaum mit meiner Arbeit angefangen, da kamen sie schon, um zuzugucken. Es wurden immer mehr. Bald waren wir - Teiresias Pappas und ich - von einer schnatternden, auf geregt gestikulierenden Schar Frauen und Kinder umringt. Und etwas später gesellten sich auch die Män ner zu den Frauen und Kindern. Die Leute rissen Witze, unterhielten sich über den Bart von Teiresias Pappas, auch über die Glatze, knabberten an Brotkru sten und an Fingernägeln; die kleinen Kinder kreischten und die größeren versuchten, Teiresias Pappas am Bart zu zupfen, kamen mit Fingerchen zwischen Schere und Kamm, kümmerten sich nicht um meine Einwände oder um das wildrollende Auge des einäugigen und eingewickelten Teiresias Pappas. Das war ein Spaß, sag' ich dir.
    Ja. So fing das an, lieber Itzig. Am selben Tag wußte das ganze Schiff, daß Itzig Finkelstein ein Friseur war. Ich bekam Aufträge. Zuerst kamen die Gecken der ›Exitus‹ mit der Bitte um einen echten Fassonschnitt. Andere zogen nach, ehrwürdige Familienväter, schüchterne Junggesellen, dann die Kinder kinderstolzer Mütter. Vereinzelt kamen auch Frauen zu mir: »Herr Finkelstein. Ich möchte eine Herrenfrisur. Ist das jetzt Mode?«
    Ob ich auch rasiere? Hier auf der ›Exitus‹? Nein, lie ber Itzig. Dazu hab ich hier, als einziger Friseur, keine Zeit. Rasieren kann sich jeder alleine. Höchstens Köpfe rasier' ich. Aber das ist doch was ganz anderes. Versuch, mich zu verstehen. Der Andrang ist zu groß. Schließlich hab ich nur zwei Hände. Was sagst du? Was für Hände?
    Natürlich verdien ich auch Geld. Aber nicht viel. Die Reichen zahlen mehr, die Armen weniger. Ich mache das so wie ein Arzt. Wenn ich bei einem Patienten Geld wittere, dann nehm ich ihn tüchtig aus. Der zahlt gleich für die anderen mit. Ja, lieber Itzig. So ist das. Leider sind die meisten auf der ›Exitus‹ arme Schweine, viele völlig mittellos, so daß mir nichts anderes übrigbleibt, als dieselben umsonst zu bedienen. Ehrensache. Man muß zuweilen auch was für die Menschheit tun. Ist es nicht so?
    Ja. Das Wetter ist schön, und die Arbeit im Freien macht mir Spaß. Die Haarschnitzel fallen hier nicht immer auf festen Boden, so wie das in einem anständigen Friseursalon üblich ist, sondern wehen bei starker Brise gleich ins offene Meer hinaus, werden von dem frischen Wind über die Brüstung getragen, begleitet von den hellen Strahlen der Sonne und dem fröhlichen Gekreisch der Kinder, zur Freude des lieben Gottes, aber zum Ärger der hungrigen Fische, die mit offenen Mäulern neben der ›Exitus‹ herziehen.
4.
    Max Rosenfeld schläft auch im Lagerraum, aber auf der gegenüberliegenden Seite. Wir sitzen meistens zusam men ... beim Essen. Sind auch sonst viel zusammen. Er kiebitzt, wenn ich arbeite oder schlendert oder drängt sich schlendernd mit mir zur Promenadenzeit zwischen Deck und Achterdeck hin und

Weitere Kostenlose Bücher