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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
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zerknittert und schmutzig, ihr Gesicht ungeschminkt und ihr Haar zerzaust. In ihrem Kleiderschrank wühlte sie nach einem hübschen Kleid, das sie anziehen könnte, bis ihr auffiel, daß schicke Kleidung und Make-up keine Rolle mehr spielten. Sie ging nicht zu ihm, um ihn für sich zu gewinnen. Sie hatte ihm den Krieg erklärt.
     
    Das Zusammentreffen mit dem Vogelmann stürzte Rosa in eine tiefe Verzweiflung, die sie nicht verdrängen konnte. Obwohl sie mit allen möglichen Tricks versuchte, sich in bessere Stimmung zu bringen, hielt die Wirkung jeweils nur kurze Zeit vor.
      Doch es gelang ihr noch, mit den alltäglichen Dingen zurechtzukommen. Am nächsten Tag meldete sich eine Frau mittleren Alters auf ihre Anzeige für eine Putzhilfe und wurde eingestellt. Rosa beantwortete ihre Post mit Hilfe einer Sekretärin aus der Schreibzentrale. Der Vogelmann nahm an ihrer Dienstagssendung nicht teil und ließ nie wieder von sich hören.
      Leo, der zweifellos annahm, daß jetzt alles wieder seinen normalen Gang nahm, war zu dem zurückgekehrt, was Rosa für sein früheres Ich hielt. Sie beobachtete, wie er mit der Times raschelte, sein Abendessen zu sich nahm, mit den Kindern spielte - doch immer aus der Perspektive einer verhältnismäßig distanzierten Fremden. Er schien mit ihrem Leben kaum etwas zu tun zu haben. Sie fragte sich, ob das bedeutete, daß sie aufgehört hatte, ihn zu lieben, und, wenn das tatsächlich der Fall war, wie armselig ihre Liebe doch gewesen sein mußte, wenn sie bereits an der ersten großen Hürde ihres Lebens gescheitert war. Sie hatte versucht, diesen merkwürdigen Mangel an Gefühl mit Leo zu besprechen, ohne allzusehr in die Einzelheiten zu gehen. Er hatte sie auf beiläufige Weise beruhigt und ihr gesagt, dies sei ein kurzzeitiger Abwehrmechanismus, den der Körper nach Zeiten der Anstrengung und des Schocks zu seinem eigenen Schutz aufbaue. Diese Erklärung klang durchaus plausibel, und sie betete, daß er recht hatte.
      Sie versuchte, Duffy aus dem Weg zu gehen, und stellte sicher, daß eine dritte Person anwesend war, sobald ein Zusammentreffen unvermeidbar war. Wenn er den Grund für dieses Verhalten ahnte, ließ er es sich nicht anmerken, doch einmal, in Tobys Büro, ertappte sie ihn dabei, wie er sie nachdenklich ansah. Er hatte sie strahlend angelächelt, und wieder hatte sie dieses seltsame Ziehen in ihrem Magen verspürt. Am Tag nach dem Vorfall in der Wapping Street saßen sie beide zusammen mit Louise in der Kantine.
      »Sonia läßt sich Zeit mit dem Zurückkommen.«
      Rosa schob die kalten Bohnen auf ihrem Teller umher. »Ich habe heute morgen bei ihr angerufen. Es war niemand zuhause.«
      »Das sieht ihr gar nicht ähnlich.« Mit hochgezogenen Augenbrauen um Erlaubnis bittend, reichte Louise hinüber und nahm Rosas Bohnen. Sie begann sie in sich hineinzulöffeln. »Sie ist eine von denjenigen, die noch zur Arbeit kommen, wenn sie schon halbtot sind.«
      »Diesen Ton verbitte ich mir.«
      »Entschuldige.« Louise hörte einen Moment auf zu lächeln und blickte sie verschämt an. »Ich hab' nicht nachgedacht.«
      Warum sollte sie auch nachdenken? Rosa glaubte zwar, daß Louise sie mochte, doch so wie das Mädchen über die Drohungen sprach, hätte es sich um eine spannende Serie im Nachtprogramm des Fernsehens handeln können. Rosa fragte sich, ob sie zu wenig Verständnis zeigte. Schließlich war jeder Mensch in der Lage, mehrere Emotionen auf einmal zu haben. Warum sollte sich Louise nicht um ihr Wohlergehen sorgen und gleichzeitig das Drama genießen?
      Duffy sagte: »An deiner Stelle würde ich noch mal bei ihr anrufen, wenn wir ins Büro zurückgehen.«
      Rosa erhob sich, ohne ihn anzusehen: »Ich werd's gleich jetzt tun. Neben dem Aufzug ist ein Münzfernsprecher.«
      »Das kostet dreißig Pfennig.« Louise klang entsetzt. »Ich bin gleich fertig mit dem Essen. In einer halben Minute sind wir unten in deinem Büro.«
      »Ich möchte lieber nicht warten.« Rosa nahm das Adreßbuch aus ihrer Tasche. Louise hatte recht. Wenn Sonia sich so gut fühlte, daß sie das Haus verlassen konnte, wäre sie zur Arbeit gekommen. Als sie den Hörer in die Hand nahm, wuchs ihr Unbehagen. Sie erhielt keine Antwort. Eine Viertelstunde später ging sie in ihr Büro zurück, machte sich einen Kaffee und probierte es noch einmal. Mit dem gleichen Ergebnis.
      »Kein Glück?«
      Sie hatte ihn nicht kommen hören. Er schlenderte zu ihrem Schreibtisch

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