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Der neue Herrscher

Der neue Herrscher

Titel: Der neue Herrscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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von Muschelbefall und Seezähnen, die sich angeheftet hatten, und eine kleine Gruppe schlug die Nägel der kupfernen Platten an Bug und Heck fest.
    Necron blieb unverändert wachsam. Er fühlte, wie die Nähe der Düsterzone in ihm nicht nur Erinnerungen, sondern auch Verhaltensweisen und Fähigkeiten – oder das Wissen darüber – weckte. Es waren auch Erinnerungen an unendlich viele Gefahren dabei. Er packte, während er langsam zum Waldrand ging und dabei unzählige Spuren seiner eigenen Leute kreuzte, nacheinander die Griffe seiner zwölf Wurfmesser, die in dem flachen Gürtel steckten. Obwohl es unverändert ruhig war, schwand sein Argwohn nicht.
    Die Handwerker hämmerten und sägten, hobelten und erhitzten Erdpech. Die Geräusche beruhigten Necron nur wenig. Nachdenklich ging er jenseits des Walles aus Treibholz, Kadavern und faulenden Meeresbewohnern entlang, wagte sich immer wieder mehrere Dutzend Schritte in den Wald hinein, der, je näher er am Ufer wucherte, dünner und niedriger war. Necron sagte sich immer wieder, daß es mehr als merkwürdig war – kein Zeichen einer menschlichen Besiedlung, keine Spur von den wahnsinnig gewordenen Gestrandeten.
    Als Necron nach einiger Zeit Hunger spürte, wandte er sich um und ging zur Guinhan zurück. Er hatte vom letzten, steinigen Ende des sichelförmigen Strandes einen langen Weg zurückzulegen. Rund ums Schiff bewegten sich seine Männer.
    Der unbekannte Grund von Necrons Argwohn ließ sich vernehmen, als er fünfhundert Schritt von der Guinhan entfernt mitten auf dem sonnenüberstrahlten Strand stehenblieb.
    Aus weiter Ferne, aber so laut und deutlich, als käme es aus dem Bauch des Schiffes, ertönte ein grauenvolles Geräusch. Ein lang hallender Schrei, kreischend und gurgelnd, schauerlich und dämonisch. Der Schrei eines unirdischen Wesens.
    Es war für Necron undenkbar, daß ein Mensch diesen fürchterlichen Schrei ausstoßen konnte. Es gab keine Kehle, die eines derartigen Lautes fähig gewesen wäre.
    Necrons Hände fuhren in die Höhe. Er preßte die Handflächen gegen die Ohren und dämpfte die Schärfe des Geräusches. Panische Angst ergriff ihn.
    Er rannte in rasender Eile auf das Schiff zu.
    Die Seeleute, Odams Männer und die anderen Krieger, die eben noch friedlich am Schiff gearbeitet hatten, ließen ihre Werkzeuge fallen und gingen schreiend und mit verzerrten Gesichtern aufeinander los. Necron brüllte, so laut er konnte:
    »Hört auf! Auseinander!«
    Aber seine Stimme war zu schwach, um gegen diesen gellenden Urlaut anzukämpfen. Er spürte, wie er die Gewalt über sich selbst zu verlieren begann. Sofort riß er wieder die Hände hoch und preßte sie gegen den Kopf. Der Schrei wurde leiser, der Druck dämonischer Mächte auf ihn und seinen Verstand ließ nach. Er stolperte, rutschte im schmutzübersäten Sand aus und kam keuchend wieder auf die Beine. Am gegenüberliegenden Ende der Bucht brachen Odams Leute aus dem Wald heraus, warfen ihre Lasten weg und rissen die Waffen aus den Scheiden.
    Necron erreichte, den hochgeschwungenen Bug der Guinhan und riß mit einem blitzschnellen Griff zwei Männer auseinander, die mit einer Schiffsaxt und mit dem Schwert aufeinander losschlugen.
    Die Krieger überschlugen sich im Sand und hielten sich, wohl instinktiv, die Ohren zu. Wieder fühlte der Alleshändler, wie ihn der Wahnsinn packte. Seine Gedanken verwirrten sich; er erreichte gerade noch einen Düsterweltler, der mit dem Schwert in sinnloser Raserei auf die Schiffswand und die ausgebesserten Planken eindrosch. Necron riß ihn zu Boden und wirbelte herum.
    Der furchtbare Schrei, der übers Wasser hallte, riß jäh ab.
    Necron nahm die Hände von den Ohren, holte tief Luft und schüttelte den Kopf, um den Druck loszuwerden. Die Bilder vor seinen Augen wurden wieder farbig und gewannen die gewohnten Umrisse zurück. Necron keuchte auf:
    »Was war das?«
    Die Männer rund um das Schiff waren wie erstarrt. Langsam ließen sie die Waffen sinken, schlichen gebeugt und wie schuldbewußt auf Necron zu und bildeten einen Kreis um ihn. Einer von ihnen schob das Schwert zurück und flüsterte etwas.
    »Wahnhall. Also doch eine Insel des Wahnsinns.«
    Necron sah außerhalb des Kreises aufgeregte Bewegungen. Dort, wo Odams Leute zuletzt zu sehen gewesen waren, herrschte Aufregung. Rotwildähnliche Tiere sprangen aus den Büschen und griffen wie rasend die Männer an. Die Bogenschützen feuerten ihre Pfeile ab und versuchten, die Tiere abzuwehren. Aber

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