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Der neue Herrscher

Der neue Herrscher

Titel: Der neue Herrscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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von der Guinhan und holte sich das Wachs aus den Ohren. »Wir hören die Schreie der Steine nicht – oder nur sehr leise. Necron zeigte es uns.«
    Die Fremden wurden bestaunt. Ihre Waffen bestanden aus Holz, Sehnen, Lianen und verschieden geformten Steinen. Einige von ihnen erzählten, wie sie auf die Insel gekommen waren. Sie sagten, daß es überall Piraten gäbe, Strandräuber und todesmutige Gruppen, die alles überfielen, was sich an den Strand wagte. Und dann gäbe es die zahllosen Gefahren der Düsterzone. Necron und Odam lächelten kühl, und Odam antwortete:
    »Vielleicht nimmt euch der Kapitän der Dämonennacht mit. Aber an Bord gilt nur sein Wort, und sein Wort ist das Gesetz, dem auch ihr euch unterwerfen müßt. Ich meine, daß ihr bis Orankon unsere Gäste sein könntet.«
    Necron stemmte die Fäuste in die Seiten und zeigte den Fremden seine zwölf Messer. Aber die zerlumpten Gestalten, denen die Not und der Hunger aus den Augen sahen, hatten nicht nur vor Odam, sondern auch vor Necron gehörigen Respekt.
    »Ihr habt gehört, was er sagte. Wie weit sind wir?«
    »Wir können in einer Stunde, Kapitän, aus der Bucht segeln«, erklärte der Steuermann und versuchte, mit einem in Essig getauchten Tuch das Erdpech von seinen Fingern abzuwischen.
    »Was sollte uns daran hindern?«
    Necron befragte seine Männer. Sie waren fast einstimmig dafür, die Gestrandeten als Führer und Fährtensucher an Bord zu nehmen und nach Orankon zu segeln, durch die gefährliche Passage der steinernen Zwillinge Exinn und Skyll.
    Necron hob beide Arme und rief laut:
    »Dann bringt die Guinhan zu Wasser, Freunde. Faßt alle an, auch ihr – ihr müßt euch die erste Mahlzeit schwer verdienen.«
    Die Taue wurden gelöst. Noch mehr runde Hölzer kamen unter den Kiel. Dutzende Männer stemmten ihre Fersen in den Sand und schoben mit den breiten Rücken das Schiff Handbreit um Handbreit der Brandung entgegen. Das Feuer wurde gelöscht. Es blieben nur Knochen und schwarze Asche zurück und die zwei Gräber der Opfer, die dem Wahnsinn nicht hatten widerstehen können. Das Ruder wurde befestigt, langsam glitt das schlaffe Segel mit der langen, federnden Rah den Mast hoch. Die Seefahrer holten ihre Ausrüstung und schwangen sich an Bord. Die Guinhan drehte sich langsam und hob dann ihren Bug in der ersten Brandungswoge. Necron suchte mit scharfem Blick den Strand ab, wartete förmlich ungeduldig auf den nächsten Schrei der Felsen, und schließlich kletterte er die Strickleiter dem Heck hinauf, zog sie ein und blieb neben seinem Steuermann stehen.
    »Noch drei Stunden bis zum Einbruch der Nacht. Oder nur zwei. Du willst es wagen?«
    »Herr«, sagte der Mann mit einem verschmitzten Lächeln, »ich bin ein Mann des Meeres. Glaube’ nicht, daß ich mich an diesem Strand, in dieser Bucht, sonderlich wohl fühle. Auf dem freien, leeren Wasser bin ich zu Hause.«
    Necron mußte sich entscheiden. Er schlug Prinz Odam auf die Schulter und warf Exyll einen schrägen Blick zu.
    »Nun denn, bei allen Dämonen der Düsterzone! Segeln wir los, gehen wir in die reißende Strömung. Unser Ziel ist die gute, alte Welt der verkehrten Wirklichkeiten. Carlumen winkt, Odam!«
    »Sein Winken ist nur schwach zu erkennen«, gab der Prinz säuerlich zurück. »Sage deinen Männern, Exyll, daß sie unsere Hilfe haben, aber nur dann, wenn sie tun, was jedermann an Bord tut.«
    Beteuernd hob der sehnige, braungebrannte Mann die Arme.
    »Sie wissen es, o ihr Fürsten des Wagnisses. Schon der erste Becher Wein – welch eine lang entbehrte Delikatesse! – hat sie zu euren besten Freunden gemacht.«
    »Glücklicherweise sind wir sehr leichtgläubige Männer«, bemerkte Necron sarkastisch, hob das ledergebundene Logbuch auf und kletterte hinunter in seinen Verschlag, der als die Kabine des Kapitäns bezeichnet wurde. Dort öffnete er ein winziges Bullauge, zündete eine Öllampe an und schrieb langsam und in wohlgesetzten Worten, was der heutige Tag gebracht hatte.
    …wir haben den Fremden gezeigt, wie man mit Wachs die Ohren verschließt. Sie fürchten das Heulen und Kreischen der Todespfeiler. Sie fürchten den Wahnsinn, weil er viele ihrer Kameraden getötet hat. Ich, Necron, Steinmann und Alleshändler der Düsterzone, sehne den Augenblick herbei, an dem ich diese helle, grelle Welt verlasse und im Geheimnisvollen nach Carlumen suche. Die alte Kraft kommt zurück. Ich ertappe mich, wie ich Selbstgespräche im Schattenwelsch führe. Orankon, der Hafen der

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