Der neue Herrscher
wir uns davor?« fragte Necron leise zurück. Unter ihnen bebten die Planken der Guinhan , denn das Schiff bewegte sich über die spiraligen und kreiselnden Ausläufer der Strömung in die Bucht hinein, als fahre ein Wagen über eine Straße voller riesiger Löcher.
»Ich bin nicht zum erstenmal auf einem Schiff«, sagte Odam nachdenklich. »Auf dem Rücken meines schnellen Palast-Yarls würde ich weniger Bedenken haben.«
»Auch ich, Alleshändler und Alptraumritter, bin nicht als furchtloser Kapitän geboren worden. Bisher indessen ist vom Wahnsinn Wahnhalls nichts zu merken.«
»Noch nicht!«
Das Schiff hob und senkte sich wie im Sturm, dann packte ein böiger Windstoß die Segel und schleuderte die Guinhan förmlich in die offene Bucht hinein. Noch drei Stunden etwa trennten sie vom Strand, den sie vom Masttopp als breiten, sichelförmigen Sandstreifen erkennen konnten. Dann hatten sie die Strömung hinter sich gelassen und segelten geradeaus weiter.
»Gut gemacht, Steuermann«, lobte Necron laut. »Weißt du auch schon, wie wir aus der Bucht herauskommen?«
»Das werde ich euch zeigen, Kapitän, wenn es soweit ist.«
Der letzte Streifen Licht hinter den Wolken erlosch. Der Mond zeigte sein narbenübersätes, fahlweißes Antlitz und warf das bleiche Licht auf die Wellen. Aus jedem Felsen, aus den Umrissen der Gewächse, aus angeschwemmtem Treibholz… aus allem wurde in diesem schauerlichen Licht ein Fabeltier, ein Dämon, eine lauernde Gefahr. Die Phantasie spielte den Männern, die sonst keinem Kampf aus dem Weg gingen, ihre bösen Streiche. Die Hilfssegel wurden eingeholt, in die runden Laternen wurden lodernde Öllampen gestellt, und an beiden Seiten des Steuermanns steckten hell brennende Fackeln in Metallhülsen. Odam packte den Griff seines gewaltigen Schwertes aus dem Goldenen Staub. Der Griff befand sich fast vor seiner Brust.
»Wie steht es eigentlich mit dem Leck?«
»Sie schöpfen noch immer. Aber die Decken und Segel, die wir über die Planken nagelten, hielten stand.«
»Noch zwei Stunden, dann sind wir in Sicherheit.«
Der Mann mit den besten Augen kauerte im Masttopp. Eine Schar Krieger hatte sich auf dem Vorschiff zusammengefunden. Sie vermochten nichts zu erkennen. Der Strand vor ihnen und der Wald schienen ausgestorben. Nur die Laute nachtjagender Tiere klangen über das Wasser der Bucht. Nun ließ der Wind nach, das Segel begann zu flattern. Aber das Schiff besaß genug Fahrt, so daß die Riemen nicht ausgebracht werden mußten. Der Wind erzeugte auf dem schwarzen Spiegel der Bucht einzelne Inseln, in deren winzigen Wellen das Mondlicht zu Tausenden und aber Tausenden winziger Sicheln wurde. Als die Guinhan wieder durch eine dieser Flächen fuhr, füllten sich die Falten des Segels, das Schiff wurde schneller, und schließlich, im Zentrum einer schwachen Brandungswelle, schrammte der Kiel weich über den Sand.
Necron stellte Wachen aus und übernahm selbst die erste Wache. Ein kleines Feuer wurde entfacht, und das Schiff lag sicher, mit dem Leck weit über dem Wasser. Die gesamte Nacht lang blieb es an der Küste still, und beim ersten Schein der Morgendämmerung begannen die Seefahrer mit ihrer wohlüberlegten Arbeit.
*
Necron zurrte den Knoten fest, hob den Arm und achtete darauf, daß der Samt seines Anzugs nicht zerrissen wurde, als er über das schräge Deck schlitterte. Er rief auffordernd:
»Zieht an, Männer!«
Über den Strand liefen die tief eingedrückten Spuren einer Gruppe, die von Prinz Odam angeführt wurde. Rund zwanzig Männer, Gefolgsleute des Prinzen und Mitglieder der Mannschaft, waren ausgezogen, um Fleisch, Frischwasser und Früchte einzuholen. Am anderen Ende des Strandes wand sich das schmutzige Wasser eines Baches durch den breiten Wall aus Schwemmgut.
Die Taue waren um den Fuß des Mastes und den Schaft des Ruders gelegt. Die Guinhan, auf dicken runden Baumstämmen weiter auf den Sand hinaufgezogen, lag auf der Seite. Jetzt zogen die Männer, andere stützten das Schiff auf der gegenüberliegenden Seite. Das Leck und die zersplitterten Planken befanden sich, als die Taue festgemacht waren, weit über dem Wasser und genau in der Höhe, die am leichtesten für die Reparatur war. Sofort wurde der Rumpf endgültig gegen das Umkippen gesichert, und Necron turnte an der Strickleiter hinunter.
»An die Arbeit. Wenn es geht, verlassen wir den Strand noch heute.«
Mit allem Werkzeug arbeiteten die Seefahrer von innen und außen, andere reinigten die Planken
Weitere Kostenlose Bücher