Der neunte Buddha - Thriller
bereitete heißen Tee in einer Schüssel und gab etwas Tsampa hinzu. In Lhatens Tasche hatte er ein wenig Butter gefunden, die er ebenfalls hineinrührte. Der Junge verschlang das Ganze gierig, und seine Lebensgeister regten sich wieder. Aber Christopher wusste, es war nur eine Frage der Zeit, dass ihm die Kräfte erneut schwanden. Er brauchte so rasch wie möglich richtige Behandlung.
»Wir müssen zurück, sobald du wieder gehen kannst«, sagte er zu dem Jungen.
»Ich brauche eine Schiene«, sagte Lhaten.
»Daran habe ich auch schon gedacht. Ich will versuchen, meine Tasche und meinen Wanderstock zu finden. Sie müssen dort sein, wo mich die Lawine erwischt hat. Es ist sicher nicht schwer, sie auszugraben. Den Stock können wir für dein Bein zurechtschneiden. Es wird nicht leicht werden, aber wenn du dich auf mich stützt, müssten wir hinunterkommen.«
»Was ist mit der Lawine? Mit dem Schnee? Die Schlucht ist davon blockiert. Da komme ich nicht durch. Lassen Sie mich zurück. Sie können aus Tsöntang Hilfe holen. Wenn Sie sich beeilen, sind Sie in einigen Tagen wieder hier.«
Aber der Junge sagte nicht die Wahrheit. Er wusste, welches Wetter sie zu erwarten hatten. Und da war noch etwas, das er ebenfalls für sich behielt. Unmittelbar bevor die Lawine niederging, hatte er weiter oben einen scharfen Knall gehört, wie von einem Schuss. Jemand hatte die Lawine absichtlich ausgelöst. Vielleicht war das Geräusch ja auch Christopher aufgefallen. Aber er wusste nicht, dass ihnen jemand folgte.»Ich denke, dass man die Lawine eventuell umgehen kann. Selbst wenn wir dafür ein wenig weiter nach oben steigen müssen. Da findest du bestimmt einen Weg.«
Lhaten schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid, Sahib. Es gibt nur einen Weg: Das ist der, den wir gekommen sind. Sie müssen bald aufbrechen, wenn Sie noch vor Dunkelheit über die Lawine hinwegkommen wollen.«
Christopher antwortete nicht. Es kam nicht in Frage, dass er ohne den Jungen zurückging. Er wusste ja nicht einmal, ob er allein nach unten durchkommen würde. Es gab nur eine Möglichkeit: Sie mussten nach Tibet hinüber und das nächste Dorf erreichen. Das bedeutete wahrscheinlich, dass man Christopher dort festnahm, aber im Augenblick war ihm das Leben des Jungen noch wichtiger, als seinen Sohn zu finden.
Kurz vor Mittag brachen sie wieder auf. Christopher ging gebeugt, so dass der Junge sich auf ihn stützen konnte. Denn auch mit einer Schiene konnte Lhatens gebrochenes Bein nicht das geringste Gewicht tragen. Wenn er sich aus Versehen darauf zu stützen versuchte, kamen beide ins Straucheln. Am Nachmittag frischte der Wind wieder auf. Eine Stunde später setzte Schneefall ein. Die Flocken fielen nicht gerade herunter, sondern wurden vom Wind gepeitscht. Dieser schien zu einem Geist geworden zu sein, der in dem Schneetreiben Gestalt angenommen hatte. Je höher sie kamen, desto schärfer wurde der Wind. Es war, als gingen sie gegen Rasierklingen an. Selbst den Atem riss einem der Wind aus dem Mund. Sie brauchten mehrere Stunden, um eine Strecke zurückzulegen, die sie vorher in einer Stunde bewältigt hatten.
Am Abend waren sie zu erschöpft, um sich einen Unterschlupf herzurichten. Christopher grub nur einen tiefenGraben in den Schnee, wo sie sich unter Lhatens Namda, der Filzdecke, eng zusammendrängten.
Am Morgen klagte Lhaten darüber, dass sein linker Fuß stärker schmerze als am Tag zuvor. Christopher zog ihm Schuh und Socken aus. Der Fuß war weiß und hart und, als er ihn berührte, kalt wie Stein. Da er nicht mehr normal durchblutet wurde, hatte sich Lhaten eine schwere Erfrierung geholt. Ohne ein Wort zu sagen, zog Christopher ihm Socken und Schuh wieder an.
»Was ist, Sahib? Habe ich ihn mir erfroren?«
Christopher nickte.
Es war sinnlos, den Fuß auftauen zu wollen. Er würde nur wieder frieren, noch schlimmer als zuvor. Christopher machte Sorge, dass auch Lhatens anderer Fuß dasselbe Schicksal erleiden könnte. Seine Schuhe waren aus billigem Leder, und er trug zu dünne Socken. Christopher opferte zwei Streifen der Namda, um Lhatens Füße besser zu schützen, aber er fürchtete, dass das nicht ausreichen werde.
An diesem Tag brach der Schneesturm mit voller Wucht los. Es war, als würde die Welt in Stücke gerissen. Wind und Schnee rasten in wahnsinnigen Böen von den Pässen herab. Man sah die Hand vor den Augen nicht mehr. Wenn sie nicht gehen konnten, dann krochen sie, wobei Lhaten sein Bein hinter sich her zog. Er gab keinen
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