Der Novembermörder
Minuten die Tür geöffnet hatte. Diese hier hatte glänzend gebürstetes Haar, duftete nach Cartier und warf ihnen einen strahlenden, türkis schimmernden Blick zu. Jetzt begriff Irene. Kein Mensch hat diese sagenhafte Augenfarbe. Wir leben im Zeitalter gefärbter Linsen. Charlotte trug eine schwarze Samthose und einen kurzärmligen Angorapullover mit tiefem Ausschnitt, der in der gleichen Farbe gehalten war wie die fantastischen Augen.
Mit einer ausholenden Geste, wenn auch mit einem gewissen Mangel an Enthusiasmus, bat Charlotte die beiden Beamten, ins Wohnzimmer zu gehen. Das war von Henriks Leben und Leidenschaft geprägt. Bilder und Antiquitäten standen dicht an dicht in dem normal großen Zimmer. Sie zwängten sich zwischen Urnen und geschwungenen Stühlen vorbei zu einem hellbeigen Seidensofa, das sich als überraschend bequem herausstellte. Charlotte drapierte sich genießerisch in einem protzigen Samtsessel mit dunklen Mahagoniteilen. Sittsam schlug sie die Beine übereinander und warf den beiden Polizisten einen überraschend ruhigen Blick zu. Das sparsame Tageslicht sickerte durch einen Spalt zwischen den vorgezogenen schweren Gardinen und fiel auf ihr Gesicht. Sie hatte es eilig gehabt, denn unter ihrem rechten Auge war die Make-up-Creme nicht ganz verteilt, dort lief ein kleiner brauner Strich die Wange hinunter. Irene beschloss dreist vorzugehen und sagte in einem verlockend freundlichen Ton: »Charlotte, wir haben inzwischen einige neue Informationen bekommen. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns helfen könnten, sie zu überprüfen.«
Vollkommen ruhig, ohne das geringste Zittern in der Stimme, antwortete Charlotte: »Ich will es versuchen.«
»Zuerst jedoch eine ganz andere Frage. Wann kommt Ihr Mann nach Hause?«
»Samstagabend.«
»Spät?«
»Ja. So gegen zehn. Wahrscheinlich wird er direkt nach Marstrand fahren. Ich gehe zu einem Geburtstagsfest bei einem Freund, der dreißig wird.«
»Kommt Henrik nicht dorthin?«
Sie zögerte, bevor sie antwortete. »Nein, er mag keine großen Feste. Mit vielen Leuten und so«, sagte sie in den Raum hinein.
»Aber Ihnen gefällt das.«
Irenes Feststellung schien sie zu verwundern.
»Ja, natürlich gefällt mir das.«
»Gehen Sie oft allein aus?«
Jetzt flackerte der Blick wieder.
»Meistens. Henrik will nicht. Aber was hat das mit Richards Tod zu tun?«
»Nun ja, wir wissen, dass Sie oft mit Bobo Torsson gesehen wurden. Dass Sie eine gute Freundin von ihm waren und dass Sie mit ihm zusammengearbeitet haben. Wir wissen außerdem, dass Sie mit Ihrem Schwiegervater geredet haben, damit Bobo die Räume in der Berzeliigatan mieten kann.«
»Das stimmt. Aber Bobo hat eine Tante, der gehört der Zigarettenladen gegenüber auf der Straße. Sie gab Bobo den Tipp, dass Richard die Wohnungen in seinem Haus renovierte. Danach hat er mich gebeten, doch Richard mal zu fragen, ob es eine Möglichkeit gab, dort was zu mieten.«
»Wissen Sie, dass Bobo tot ist?«
Jetzt wurden die Augen feucht und Charlotte schluckte schwer, bevor sie antwortete.
»Ich habe es in den Nachrichten gehört. Wie schrecklich!«
»Wissen Sie, ob Bobo in irgendeine Sache verwickelt war, die jemanden dazu bringen konnte, ihn zu ermorden?«
Es flackerte hinter dem Türkisblau. Unruhe und Wachsamkeit.
»Nein. Absolut nicht!«
Sie kreuzte die Beine noch fester und begann die nackten Unterarme zu massieren, als fröre sie.
»Hat Bobo Ihnen Drogen verkauft?«
Es war wie bei Lots Weib. Charlotte verwandelte sich in eine Salzsäule. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie entschuldigend, aber gleichzeitig mit einem Unterton von Aggressivität antwortete: »Heutzutage nehmen doch alle mal was. Das tun doch alle. Da ist nichts Besonderes dabei. Das ist wie Alkohol trinken!«
»Nun ja. Aber es fällt unter andere Gesetze. Hat er viel verkauft?«
Jetzt hatte sie sich wieder gefangen und zeigte eine härtere Miene. Sie machte den tapferen Versuch, hochmütig zu klingen: »Überhaupt nicht! Er war ein hervorragender Fotograf. Das bisschen, was er verkaufte, das war nur für Freunde und private Gelegenheiten.«
Es gelang ihr nicht ganz, aber fast. Da sie noch eine ganze Reihe anderer brisanter Fragen zu stellen hatte, beschloss Irene, fürs Erste das Thema zu verlassen. Stattdessen fragte sie: »Kennen Sie einen Mann namens Lars ›Lillis‹ Johannesson?«
Charlotte zuckte zusammen, sah aber nicht ängstlich aus. Sie verzog den Mund und sagte: »Das ist Bobos Cousin. Aber ich habe ihn nie
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