Der Novembermörder
sie. Irene wusste, dass der Vorwurf grundlos war, aber trotzdem versetzte es ihr einen Stich. Sie war die Älteste, die mit der größten Erfahrung. Jimmy hatte nur zu gehorchen und mitzumachen. War sie schuld an dem, was Jimmy zugestoßen war?
Andersson war knallrot, als er aufstand, mit der Handfläche auf den Tisch schlug und schrie: »Jetzt halt aber die Schnauze! Irene hat ihre Arbeit gemacht und verdächtige Spuren überprüft, die zu Bobo Torssons Versteck führen konnten! Keiner in dieser Abteilung muss jedes Mal zu mir rennen, sobald irgendwas Neues auftaucht, was untersucht werden muss. Das wäre doch überhaupt nicht machbar! Schließlich seid ihr Profis!«
Peng! Er schlug wieder mit der Handfläche auf die Tischplatte, um seine Worte zu unterstreichen. Jonny hatte den Ausbruch seines Chefs offenbar nicht erwartet, denn er sagte nichts. Andersson holte ein paar Mal tief Luft, um seinen Puls wieder unter Kontrolle zu kriegen. Etwas ruhiger sagte er: »Niemand konnte davon ausgehen, dass diese Kerle eine Alarmanlage in einem Holzstapel versteckt hatten! Und es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass es in Bobos und Lillis Kate irgendwelche Hell’s Angels geben könnte. Das war eine verdammt unangenehme Überraschung, die Jimmy und Irene da erwartete.«
Andersson setzte sich wieder, aber seine verkniffene Miene behielt er bei. Er sah Jonny lange kritisch an und Irene konnte sehen, wie es Jonny peinlich wurde. Irene hatte das Gefühl, dass hinter der heftigen Reaktion des Kommissars noch mehr stecken müsste, aber sie hatte nicht die geringste Ahnung, was das wohl sein könnte. Andersson fuhr fort: »Ich will solchen Mist hier in der Abteilung nicht hören. Wir haben keine Zeit, uns gegenseitig zu piesacken, wir sollten uns lieber um unsere Arbeit kümmern. Versprühe deine Galle lieber bei Lillis und sieh zu, dass er den Mund aufmacht! Wir haben nur noch heute Zeit. Morgen müssen wir ihn freilassen. Bis jetzt haben wir nicht den geringsten Beweis, dass er etwas Ungesetzliches getan hat. Obwohl dieser Satan wahrscheinlich nie was anderes gemacht hat!«
»Aber jetzt agiert er ja als ehrbarer Zigarettenhändler.«
Irene versuchte mit einer ironischen Bemerkung die Stimmung zu lockern.
»Ehrbarer Zigaretten…! Der verscheuert doch Stoff und sonst nichts!«
»Aber wir haben keine Beweise.«
»Nein. Alles weist nur auf Bobo Torsson hin. Gegen Lillis haben wir nichts in der Hand.«
»Tommy und ich haben uns vorgenommen, der jungen Frau von Knecht einen Morgenbesuch abzustatten. Sylvia hat gestern erzählt, dass Bobo und Charlotte alte Bekannte sind. Wir wollen mal nachfragen, ob sie vielleicht auch mit Lillis bekannt ist.«
Ein Funkeln erschien in den Augen des Kommissars.
»Das sind ja interessante Neuigkeiten. Das hätte wohl keiner gedacht, dass sie den Dealer Torsson kennt. Ein reizendes Mädchen, diese Charlotte. Müsst ihr zu zweit zu ihr fahren?«
»Vier Augen sehen mehr als zwei. Während der eine redet, kann der andere sich etwas umsehen«, erklärte Irene.
»Hast du konkrete Verdachtsmomente gegen sie?«
Irene zögerte eine Weile mit der Antwort. Dann sagte sie: »Es ist eher so ein Gefühl, das ich bekam, als ich gestern mit Sylvia gesprochen habe. Sie ahnt oder weiß, wer den zusätzlichen Schlüsselbund von Richard von Knecht hatte. Aber sie will nicht drüber reden. Und ich bin fest davon überzeugt, dass es jemand aus der Familie ist. Charlotte oder Henrik. Sylvia hat mir auch erzählt, dass Henrik vor der Hirnhautentzündung an Mumps erkrankt war. Und als ich sie gefragt habe, ob er als Folge des Mumps zeugungsunfähig geworden ist, brach sie zusammen. Es kann also sein, dass Henrik zeugungsunfähig ist. Wer ist dann aber der Vater von Charlottes Kind? Ich möchte den beiden in dieser Frage mal näher auf den Zahn fühlen.«
Irene und Tommy fuhren langsam nach Långåsliden hinauf. Die großen, modernen Villen dominierten, aber dazwischen war auch das eine oder andere ältere Haus zu sehen. Obwohl Örgryte und Skår inzwischen zu den zentralen und exklusivsten Teilen von Göteborg gehörten, konnten sie sehen, dass die Häuser in prächtigen, weit gestreckten Gärten lagen, die nicht selten mangelnde Pflege verrieten. Was sicher an der fehlenden Zeit der Hausbesitzer lag. Man musste gewiss reichlich schuften, um es sich leisten zu können, in dieser angesagten Gegend hier zu wohnen.
Henriks und Charlottes Haus gehörte nicht zu den größten in dieser Gegend. Aber der Garten
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