Der Novembermörder
beiseite. Tommy wandte sich ihm zu und fragte: »Und wer sind Sie?«
»Daniel Skytter«, antwortete der Rothaarige mürrisch.
Da sah Irene die Ähnlichkeit. Die beiden waren Brüder.
Freundlich sagte sie: »Wohnen Sie auch hier?«
»Ja. Im Augenblick.«
»Im Augenblick?«
Daniel Skytter zeigte deutliche Zeichen von Unruhe und begann auf der Stelle zu treten.
»Ich bin letzte Woche hergezogen, nachdem mein Mädchen mich rausgeworfen hat. Es war ihre Wohnung«, erklärte er schmollend.
»Und deshalb wohnen Sie jetzt hier. Was arbeiten Sie?«
»Ich gehe stempeln. Ich bin arbeitsloser Maler.«
»Ja, also, Daniel. Wir möchten gern mit Robert unter vier Augen reden. Hätten Sie was gegen einen kleinen Spaziergang?«
Daniel zuckte zusammen und richtete sich kerzengerade auf. Seine Augen wurden zu Schlitzen, als er fauchte: »Ne, ne! Nur keine Zeugen, was! Damit Sie ihn bearbeiten können und dazu bringen, alles Mögliche zu gestehen, wie!«
Irene und Tommy stöhnten gleichzeitig. Übertrieben pädagogisch sagte Tommy: »Lieber, guter Daniel. Sie sollten wirklich nicht mehr so viele amerikanische Krimis sehen. Wir wollen nur mit Ihrem Bruder reden. Er ist ein wichtiger Zeuge bei einem äußerst brutalen Verbrechen, das wir untersuchen.«
Ein Funke von Neugier erschien in Daniels misstrauischen grauen Augen. Offenbar war er sich nicht sicher, worum es eigentlich ging. Tommy fuhr fort: »Die Alternative ist, dass wir ihn mit aufs Präsidium nehmen und dort verhören.«
»Das dürft ihr nicht!«
»O doch.«
Unsicher schauten sich die Brüder an. Robert nickte und machte mit dem Kopf ein Zeichen zur Tür hin. Daniel gab auf. Er schnappte sich seine Jacke von der Garderobe, drückte sich eine Kappe auf den Kopf, stopfte die Füße in derbe Joggingschuhe und ging zur Tür. Der Blick, den er den Zurückbleibenden über die Schulter zuwarf, war randvoll mit Misstrauen.
Irene wandte sich Robert Skytter zu.
»Wie alt ist Ihr Bruder?«
»Achtzehn.«
»Achtzehn! Und wohnt schon mit einer Frau zusammen?«
»Das hat nicht mal zwei Monate gehalten.«
»Warum ist er denn nicht wieder zurück zur Mama gezogen?«
»Er kommt nicht gut mit Mutters neuem Mann aus. Deshalb ist er letzte Woche lieber zu mir gezogen. Aber ich werde versuchen ihm irgendwo eine kleine Wohnung zu besorgen. Obwohl, die kann er sich wahrscheinlich kaum leisten.«
»Dann war er also der Grund, dass Charlotte und Sie sich bei ihr zu Hause getroffen haben?«
Roberts Blick flackerte, er wandte sich von den beiden ab. Er ging durch den engen Flur vor und führte sie in ein kleines Wohnzimmer, möbliert mit dem Sofa Balder, dem Couchtisch Runar und dem Bücherregal Diplomat. Oder wie immer sie auch hießen. Irene kannte sie von ihren Studien hinsichtlich Wohnungseinrichtungen: IKEA-Katalog ’96. Robert wies ihnen einen Platz auf dem Sofa an. Er selbst setzte sich auf den Sessel Tobbe. Aber gleich sprang er wieder auf und fragte nervös: »Möchten Sie etwas zu trinken? Eine Selters? Ein Leichtbier? Ein richtiges Bier?«
»Eine Selters bitte.«
»Ein Leichtbier bitte.«
Er verschwand im Flur und weiter in der Küche. Sie konnten hören, wie er mit Flaschen und Gläsern klirrte. Durch eine halb offene Tür konnte Irene ein ungemachtes Bett sehen. Zwei Zimmer und Küche. Und der kleine Bruder. Das war momentan Robert Skytters Wohnsituation. Nicht viel, was er seiner verheirateten Geliebten aus Örgryte bieten konnte. Wieder tauchte das allzu vertraute Warum vor ihren Augen auf. Warum brauchte Charlotte dieses kleine süße Spielzeug? Das Objekt ihrer Frage tauchte mit Flaschen und Gläsern in einem beängstigend lockeren Griff auf. Robert stellte seine Last auf dem Tisch ab, um dann unsicher und zögernd zu fragen: »Dann waren Sie es also, die heute am frühen Morgen bei Charlotte waren?«
Irene nickte.
»Es war schon nach zehn. Ja, das waren wir.«
»Ja, es stimmt, was Sie sagen. Hier ist es zu eng und dann noch mit Daniel … und so.«
»Wollte Charlotte, dass Sie zu ihr hinauskommen?«
Er schaute auf die Tischplatte und nickte schließlich.
»Wie lange sind Sie und Charlotte schon zusammen?«
Er schaute auf und schien aufrichtig überrascht zu sein.
»Wir sind nicht zusammen! Nun ja, manchmal schon. Letzte Nacht.«
»Sie haben vorher noch nie zusammen geschlafen?«
Jetzt zitterten seine Hände und er zupfte nervös am Bieretikett. Tommy wiederholte die Frage. Schließlich kam reichlich unwillig: »Ich habe schon erzählt, was letzte
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