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Der Novembermörder

Der Novembermörder

Titel: Der Novembermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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beiden.
    Irene konnte Fredrik ein Stück entfernt ahnen. Sie nahm das Fernglas und sah, wie er sich durch die niedrigen Büsche schlich. Er war nicht zu dem großen Haus gegangen, sondern hatte einen Kreis beschritten, um direkt auf Henriks Haus zuzukommen. Ein guter Plan, so wurde er weiterhin von Bäumen und Büschen verdeckt. Das ermöglichte es ihm auch, die Taschenlampe zu benutzen. Aber den Mondeo hatte er nicht gesehen. Man kann eben nicht alles allein entdecken – noch ein Grund, warum es besser war, wenn mehrere ans Werk gingen.
    Irene richtete das Sichtgerät auf Henriks Haus. Ein schwaches Licht war im Fenster zu sehen. Von ihrem Standort aus konnte sie nur in das Fenster im Giebel blicken. Dahinter befand sich wahrscheinlich die Küche. Kein Mensch war zu sehen. Sie beschloss, eine andere Position einzunehmen, von der aus sie einen größeren Blickwinkel hatte. Es war sehr schwierig, sich in der Dunkelheit vorwärts zu bewegen. Man sah die Hand vor Augen nicht, und das Risiko zu stolpern oder hinzufallen, war allgegenwärtig. Bald ging sie in Fredriks Fußspuren. Er blinkte ihr kurz zu, als sie seine Position kreuzte. Diese lag strategisch richtig hinter einem großen Felsblock, ungefähr zehn Meter von dem erleuchteten Fenster links von der Haustür entfernt. Sie blieb stehen und warf einen Blick aufs Fenster. Aber es saß zu hoch, sie konnte nichts sehen.
    Ihr Herz klopfte jetzt schneller. Es war kein Lebenszeichen aus dem Haus zu vernehmen, doch sie wusste, dass Lillis dort war. Ihre Nasenflügel weiteten sich, und alle Sinne waren aufs Äußerste gespannt. Sie nahm die Witterung auf. Ein leichter Metallgeschmack in ihrem Mund bestärkte sie in dem Gefühl, dass sie Recht hatte. Die Jagd hatte begonnen.
    Vorsichtig begab sie sich auf die glatten Felsen und schaute auf den Balkon hinauf. Zum Meer hin waren die Balkonpfeiler fast drei Meter hoch. Aber das war der Weg, den sie gehen musste. Es führte keine Treppe zu den Felsen hinunter, man konnte nur durch das Haus auf den großen Balkon gelangen.
    Die Stützpfeiler waren aus Granitblöcken gehauen, die mit dünnen Fugen zusammengemauert waren. Die Fugen waren nicht breit genug, um den Fingern oder Zehen einen Halt zu bieten, sodass man an ihnen hätte hochklettern können. Unter dem Balkon lag ein kleines Ruderboot, für den Winter umgedreht. Auch wenn es klein war, wog es dennoch eine ganze Menge. Irene stöhnte, als sie es langsam in Position brachte. Sie machte eine Pause. War etwas aus dem Haus zu hören gewesen? Nein, nur das Meer und das Brausen des Windes waren zu hören, und sie war dankbar für diese Geräuschkulisse. Jetzt war es an der Zeit auszuprobieren, ob ihre Idee funktionierte. Das Boot stand hochkant, mit dem Boden gegen den Stützpfeiler gelehnt. Der Bug zeigte nach oben und das Heck hatte zwischen den schweren Steinen Halt. Es dürfte eigentlich nicht wegrutschen. Sie kletterte auf die Achterplanken und weiter auf die Ruderbank. Der letzte Teil war am schwierigsten. Sie stellte ihren rechten Fuß auf die Bugspitze, bekam die Trallen der Balkonumrandung zu fassen und wollte sich gerade mit Schwung hochziehen, als eine Stimme sie innehalten ließ: »Guck hoch!« Sie erstarrte. War es nur der Wind gewesen, der in ihren Ohren sauste? Natürlich gehorchte sie der Stimme. Auf einem Fuß balancierend spähte sie durch die Trallen zu der großen Balkonglastür. Die ganze Wand zu dem Sonnendeck hin bestand aus gläsernen Schiebetüren. Sie konnte weiter hinten im Haus ein schwaches Licht erkennen, aber das Zimmer zum Balkon hin war dunkel. Eine ganz, ganz schwache Bewegung konnte sie in der einen Seitengardine erahnen. Oder waren es ihre überspannten Nerven, die ihr da einen Streich spielten? Der Wind schlug kalt um ihre Beine, und der Fuß, mit dem sie das Gleichgewicht hielt, begann einzuschlafen. Der kalte Schweiß brach ihr auf dem ganzen Körper aus. Ungemein vorsichtig versuchte sie, sich das Sichtgerät vor die Augen zu schieben. Die Atmung setzte aus und das Dröhnen von Meer und Wind verschwanden. Er kann dich nicht sehen! Er kann dich nicht sehen! Du siehst ihn durch das Fernglas, aber er kann dich nicht sehen! Nur ein Glück, dass das Gerät an einem Riemen um ihren Hals hing, sonst hätte sie es auf die Felsen unter sich fallen lassen. Das gelockte Haar über den Schultern. Die glänzende Lederjacke mit all den Nieten und der gewaltige, massive Körper. Und dazu das teuflische Grinsen auf den Lippen. Hoffa Strömberg stand

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